#Adventskalender-Minutengeschichte2023 23. Dezember: Falsch verstanden

Elke wollte nur einen kurzen Blick auf den Christbaum werfen, ob dieser noch etwas Wasser brauchte.

Im Wohnzimmer hatte sie auf einmal einen nassen Fuß. Verwirrt starrte sie ihren durchweichten Strumpf an. Als wäre sie draußen in eine Pfütze getreten, aber sie hatte sich nur hier drinnen aufgehalten.

Auf dem Boden befand sich eine Wasserlache, die vom Tannenbaum kam. Hatte Hubert zu viel Wasser in den Behälter gegossen? Entweder war es zu wenig oder zu viel. Immer musste er übertreiben.

Na gut, dann würde sie kurz einen Lappen zum Aufwischen holen und danach ein ernstes Wörtchen mit Hubert reden. Wenn er eine Überschwemmung hinterließ, musste er das auch wieder wegmachen und nicht ihr überlassen. Eine Fußbodenheizung bedeutete nicht, dass diese alles trocknete.

Während Elke das Wasser aufwischte, entdeckte sie eine Plastikkugel, die vom Baum gefallen war.

Sie legte das Tuch in den Eimer und wollte die Christbaumkugel wieder an einen Tannenzweig hängen, als ihr diese aus der Hand fiel.

Geschockt starrte sie auf den Baum, der vor Wasser nur so triefte. Alles, aber auch wirklich alles war nass. Beim Anblick des nassen Weihnachtsbaumschmucks hätte sie heulen können. Die ganzen Holzschnitte waren vor Feuchtigkeit aufgequollen. Die roten Stoffbällchen waren durchweicht. Den Plastikkugeln und den Metallbildchen machte die Feuchtigkeit wenig, obwohl sie das Metall lieber vorsichtig abtrocknete. Nachher fingen die Anhänger zu rosten an. Sie hatte diese Jahrzehnte nicht wie ein rohes Ei behandelt, damit sie nach einem Regenguss zu rosten anfingen und unansehnlich wurden.

Wieso war der Baum klitschnass, als hätte er draußen im Regen gestanden?

„Hubert!“, rief sie ihren Mann, der ihr bestimmt sagen konnte, was hier geschehen war.

Fünf Minuten später ließ sich ihr Mann endlich blicken.

„Was ist denn los? Brennt der Baum?“

„Nein, der trieft vor Wasser. Was hast du wieder angestellt?“

„Nichts!“, beteuerte ihr Mann seine Unschuld.

„Warum ist der Baum nass?“

„Ich habe ihn ein bisschen angefeuchtet.“

„Ein bisschen?“, sagte Elke empört und zeigte ihrem Mann ein aufgequollenes Holzstück. „Das hat sich total mit Wasser vollgezogen. Ich kann froh sein, wenn das nach dem Trocknen halbwegs wieder so aussieht wie früher.“

„Was musst du so was an den Baum hängen?“

„Warum ist der so nass?“

„Wenn du willst, dass der Baum lange hält, musst du die Nadeln mit einem Zerstäuber besprühen. Das habe ich gestern als Tipp in der Zeitung gelesen.“

„Leicht anfeuchten hat dort gestanden“, sagte Elke, die den Artikel über die Haltbarkeit des Christbaums ebenfalls gelesen hatte. „Du hingegen hast den ganzen Baum unter Wasser gesetzt. Dazu kommt der gesamte Christbaumschmuck, der feucht geworden ist. Bei den Plastikkugeln ist das egal, aber meine schönen Metallanhänger, die Stoffkugeln. Und hier…“ Elke hätte fast aufgeheult, als sie ihre aus Papier geformten Herzen mit weihnachtlichem Motiv sah, die durch das Wasser völlig aufgeweicht und an Form verloren hatten. Die hatte ihre Mutter ihr vermacht und sie hatte diese all die Jahre wie ihren Augapfel gehütet und nun waren sie hinüber.

„Ich hole einen Fön. Dann sind deine Anhänger in Nullkommanichts trocken“, sagte Hubert und wollte sich auf den Weg ins Bad machen.

„Gar nichts wirst du! Die müssen schonend getrocknet werden. Du bringst es fertig, dass die Herzanhänger in Flammen aufgehen, weil der Fön die Lackschicht erhitzt.“

„Dann kommen deine Anhänger auf die Fensterbank und ich stelle den Heizkörper an“, schlug ihr Mann vor.

„Wenn du das nächste Mal dem Baum was Gutes tun willst, gieß Wasser in den Christbaumständer. Das reicht völlig aus.“

„Ich wollte nur was Neues ausprobieren“, meinte Hubert kleinlaut.

„Das kannst du bei einem Baum machen, an dem nur Plastik- oder Glasschmuck hängt, aber weder Holz noch Stroh.“

(Helen Hoffmann)

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