#Adventskalender-Minutengeschichte – 24. Dezember: Die Zeit läuft!

Genervt sah sie auf die Uhr. Sie mussten los und steckten immer noch im Flur fest, weil der werte Herr seinen zweiten Schuh nicht fand. Warum zog er nicht das andere Paar an? Damit könne er nicht Autofahren. Dann setzte sie sich hinters Steuer. Patrick wollte noch lebend Weihnachten erleben. Sehr witzig!

„Jetzt komm, wir sind viel zu spät.“

„Du hättest eher daran denken können, dass wir noch die Gans abholen müssen.“

„Ich habe das gesagt, aber du wolltest erst den Baum fertig schmücken.“

„Das ist wichtig.“

„Die Gans ist wichtiger. Heute Abend muss sie goldbraun gebacken aus dem Ofen auf den Tisch.“

„Warum hast du sie nicht gestern abgeholt?“

„Ich musste arbeiten. Du weißt, wie stressig das vor Heiligabend bei uns immer ist. Da will dauernd jemand etwas.“

Endlich hatte Patrick seinen zweiten Schuh gefunden und auch angezogen. Es konnte losgehen.

„Ist das kalt!“, merkte ihr Mann an und drehte im Auto erst einmal die Heizung hoch. Sie hatten kaum die Straße verlassen, als es im Wagen so heiß wie in der Sahara war.

„Nicht so heiß. Die Gans verdirbt bis wir sie nach Hause gebracht haben.“

„Kauf eine Kühltasche. Wir können hinten ein Fenster aufmachen, dann bleibt sie kühl und frisch.“

Kaum befanden sie sich auf der Hauptstraße, als sie sich kaum noch von der Stelle rührten. Vor ihnen, neben ihnen und hinter ihnen standen jede Menge Autos. Wo wollten die alle hin?

„Gegenwärtig haben wir einen Stau von zehn Kilometer Länge auf der Eichsfelder Straße“, wurde im Radio durchgegeben.

„Das ist ein Witz. Wer hat da keine Winterreifen aufgezogen?“

„Es gibt immer Experten, die meinen, das lohne sich nicht, weil es bei uns nicht mehr richtig kalt würde“, meinte Patrick.

„Wir haben seit drei Tagen Schnee liegen und die Temperaturen sind arktisch. Da soll der Winter ausfallen?“

Ihr Mann zuckte die Schultern, weil er darauf keine Antwort wusste. Manche waren einfach zu bequem die Reifen zu wechseln. Sollten sie Allwetterreifen aufziehen lassen, das ersparte ihnen das ständige Wechseln.

„Kannst du da irgendwie rumfahren?“, wollte sie wissen.

„Nee, hier wird überall gebaut. Ich weiß gar nicht, welche Straßen aktuell gesperrt sind. Ich könnte nur versuchen über den Leipziger Damm zu fahren. Aber der ist auch noch mindestens einen Kilometer entfernt.“

„Warum muss so was immer passieren, wenn man es eilig hat? Die Waschmaschine kommt auch nie in Gange, wenn sie schnell waschen soll und dreht und dreht und dreht.“

Zunehmend verzweifelt sah sie auf die Uhr und konnte nicht verhindern, dass die Zeiger sich unaufhörlich weiterdrehten. In einer Viertelstunde würden die Läden schließen. Das konnten sie niemals rechtzeitig schaffen, wenn kein Wunder geschah. Ob sie zu Fuß…? Nicht bei der Kälte. Innerhalb kürzester Zeit wäre sie völlig durchgekühlt. Sie hatte ihren dünnen Mantel angezogen, weil sie nur die Gans mit dem Auto hatten abholen wollen und nicht mit einem Stau gerechnet hatte. Handschuhe lagen natürlich auch zu Hause.

„Hast du Handschuhe dabei?“

„Die habe ich an, damit meine Finger nicht einfrieren.“

Ein Blick zu seinen Händen bestätigte Patricks Aussage. Dass ihr Mann ein Frostködel war, wusste sie, aber so übertrieben hatte er noch nie. Es war kalt gewesen im Auto, aber nun schwitzte sie. Noch ein Grund, sich nicht zu Fuß auf den Weg zu machen.

Wie lange standen sie an dieser Stelle und es ging nicht weiter? Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es waren erst drei Minuten vergangen, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Die Autos vor ihnen setzten sich in Bewegung. Fünf Meter, vielleicht sechs Meter, aber mehr waren sie nicht vorangekommen. Wenn das so weiterging, würden sie in zwei Stunden noch im Stau stehen. Warum musste das passieren, wenn sie es eilig hatten? Ob sie nicht doch zu Fuß?

Ein Blick durchs Fenster auf die nebelverhangenen Wege ließ sie ihren Plan vergessen. Wenn sie sich nur länger als fünf Minuten draußen aufhielt, würde sie morgen mit Fieber im Bett liegen.

Es ging etwas zügiger voran, die Abfahrt war schon in Sicht, als sie wieder stehenblieben.

„Kannst du nicht überholen und abbiegen?“, fragte sie ihren Mann.

„Bist du verrückt? Ich setze meinen Führerschein nicht für so was aufs Spiel. Heutzutage nimmt doch jeder mit seinem Handy auf, wenn jemand Mist baut. Wir warten.“

Ich kann nicht warten.

Zunehmend verzweifelt sah sie die Uhr ticken. In sieben Minuten machte der Laden dicht. Sie würde ihre Gans nicht mehr bekommen. Hatte sie überhaupt Geld eingesteckt? Verdammt, das hatte sie auch noch vergessen. Hofffentlich hatte Patrick seine Karte dabei. Wenn jetzt das Kartengerät defekt war? Das kam immer wieder vor.

Sie musste ihre Gans haben. Jetzt nur nicht in Panik geraten.

Die Autos setzten sich wieder in Bewegung und dieses Mal konnte ihr Mann abbiegen. Zügig ging es voran. Noch vier Minuten, aber das sollten sie schaffen. Da vorne war auch schon der Laden.

Wie leer der Parkplatz war. Bei dem Wetter schien sich niemand nach draußen zu trauen.

„Park ganz vorne, damit ich schnell in den Laden laufen kann“, gab sie Anweisung und nahm ihr Handy aus der Tasche. Sie hatte zwei Anrufe verpasst. Wieso hatte sie es auf lautlos gestellt?

Das war der Leiter des Ladens, wo sie die Gans abholen wollte. Was sagte er? Wo sie bleibe? Sie war jetzt da, wenn auch drei Minuten bevor sie zumachten.

Patrick hatte den Motor noch nicht ausgeschaltet, als sie aus dem Wagen sprang und zum Eingang lief. Wieso sah das drinnen so dunkel aus? Hatten sie schon zugemacht? Es waren noch drei, nein, zwei Minuten. Das sah völlig verlassen aus. Selbst der Parkplatz war leergefegt.

Sie wollte durch die Tür und wäre fast gegen die Scheibe geknallt, weil sich diese nicht öffnete. Was war hier los? War schon wirklich alles zu?

Sie sah das Schild mit den Sonderöffnungszeiten. Dort stand dreizehn Uhr und nicht vierzehn wie sie gedacht hatte. Jeder Laden machte um vierzehn Uhr zu, nur dieser nicht, weil er schon um sechs geöffnet hatte.

Wo war jetzt ihre Gans? Sie hatte eine bestellt und die wollte sie jetzt abholen. Sie wollte ihr Geld zurück!

Wo bekam sie jetzt noch eine frische Gans her? Alle Läden waren zu und sie hatte nicht einmal eine gefrorene in der Tiefkühltruhe. Das einzige, was sie machen könnte, wären Kartoffelpuffer. Die wollte an Weihnachten niemand essen. Verdammt, warum hatte sie sich in der Zeit vertan und warum hatte sie ihr Handy auf lautlos gestellt?

Da war doch ein weiterer Anruf auf ihrem Handy. Die gleiche Nummer wie zuvor. Was hatte der Leiter des Ladens ihr vor knapp fünfzig Minuten zu sagen gehabt?

Man habe sie nicht erreichen können, deshalb werde die Gans am Lieferanteneingang bereitgestellt, damit sie diese abholen könne. Rechnung liege bei, die sie nach den Feiertagen sofort zu bezahlen habe.

Die Gans war da! Die Gans war da! Der Abend würde gerettet sein.

Sie ging mit Patrick im Schlepptau um den Laden herum bis sie beim Lieferanteneingang ankamen.

Da hing die frische Gans, bereit zur Verarbeitung. Nein, zwar noch frisch, aber tiefgekühlt. Die Kälte hatte sie in einen Eisklotz verwandelt. Wie sollte sie die nur bis heute Abend auftauen und zubereiten? Wenn etwas schiefging, ging alles schief.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 23. Dezember: Nimm mich mit!

Was war nur geschehen? Vor wenigen Wochen hatte er noch mit all den anderen in Reih und Glied gestanden. Gegenseitig hatten sie sich ihren schönen Wuchs geneidet. Jeder wollte der Schönste sein. Was hatte er sich gefreut, als er mit einigen anderen ausgewählt worden war, um später das Heim einer Familie zu schmücken und Behaglichkeit auszustrahlen.

Er war sicher gewesen, dass er der erste wäre, den man nehmen würde. Er war gut gewachsen, hatte einen schönen Stamm und alle Nadeln waren bei ihm dran, von seinem dichten Kleid gar nicht erst zu sprechen. Doch statt ihm waren all die anderen genommen und gekauft worden. Ihn hatten sich einige angesehen, aber jeder hatte etwas gefunden, was ihm nicht gefiel und ihn wieder weggelegt. So war er der letzte geblieben. All die anderen, die es nicht am ersten Tag geschafft hatten, jemanden zu finden, hatten im Laufe der Wochen noch jemanden gefunden, aber ihn hatte niemand beachtet.

Was war nur mit ihm? Warum wollte ihn niemand haben? Er war schön gewachsen. Ein prachtvoller Weihnachtsbaum. Das musste jemand sehen!

Aber es hatte niemand gesehen. Weihnachten näherte sich immer schneller. Inzwischen war er direkt an die Kasse gestellt worden, aber niemand wollte ihn. Anscheinend hatten alle bereits einen Baum. Es war traurig, was für ein einsames Dasein er fristen musste. Er fühlte sich verloren.

Jetzt lag er hier in der Kälte und fror. Niemand mehr, der ihn beachtete. Was hatte er falsch gemacht?

Trotz der Wochen in der Wärme hatte er kaum Nadeln verloren, sah immer noch frisch aus. Nur das Netz, dass ihn eingeengt hatte, war an einigen Stellen kaputt. Nun konnte man viel deutlicher sehen, wie stattlich er aussah. Wollte ihn immer noch niemand haben?

Selbst beim Personal hatte er Mitleid erregt, aber mitnehmen wollte ihn niemand. Jetzt hatte man ihm sogar ein Schild umgehängt. Er hatte gehört, was da drauf stand. Nehmt mich mit. Ich bin kostenlos. Selbst als Gratis-Angebot schien er ein Ladenhüter zu sein, denn niemand hatte sich seiner erbarmt. Es war traurig, welches Schicksal er fristen musste.

Wollte ihn denn niemand haben? Sollte er morgen an Heiligabend seinen Weg in die Mülltonne finden? Er war nicht aus der Plantage gezogen, um so schmachvoll zu enden.

Hallo? Wollte ihn niemand haben? Er war hier! Völlig kostenlos! Gratis! Umsonst!

Verzweifelt versuchte der einsame Tannenbaum auf sich aufmerksam zu machen, doch die Menschen waren viel zu hektisch, als dass sie einen Blick auf ihn warfen. Wie sollte er nur jemanden finden, der ihn mit nach Hause nehmen würde? Er konnte doch nicht sprechen.

Traurig ließ er Nadeln und Äste hängen und fand sich damit ab, dass es nicht mehr lange dauern würde bis er die riesige Mülltonne von innen betrachten würde. Davor fürchtete er sich. Es würde eng und dunkel werden. Das wollte er sich gar nicht vorstellen.

Die anderen Bäume würden über ihn lachen, wenn sie von seinem Schicksal erfahren würden. Was hatte er für Töne gespuckt, was für ein schöner Baum er sei.

„Guck mal, Papa. Ein Weihnachtsbaum“, hörte er eine Kinderstimme sagen.

Wo war jemand, der ihn erblickt hatte? Aufgeregt raschelte er mit den Nadeln, um Aufmerksamkeit zu erringen.

„Da steht etwas“, sagte der Junge und deutete auf den Zettel.

„Der Baum wurde nicht verkauft, deshalb ist er jetzt gratis“, sagte sein Vater. „Er liegt hier und wartet auf einen neuen Besitzer.“

„Können wir ihn nicht mitnehmen?“, fragte der Junge.

„Ich dachte, du wolltest keinen Baum“, sagte sein Vater.

„Schon, aber sieh ihn dir an. Der liegt hier ganz einsam und würde sich bestimmt freuen, wenn wir ihn mitnehmen und schmücken.“

„Wenn du das denkst, sollten wir es tun“, sagte der Vater und warf sich den Baum mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, als würde er nichts wiegen, um ihn nach Hause zu transportieren.

Vorsichtig! Er war empfindlich. Nicht so schaukeln, sonst wurde ihm übel. So war es besser.

Der Tannenbaum freute sich, dass er noch jemanden gefunden hatte, der ihn mitnahm und schmücken würde, dass er seine volle Pracht entfalten konnte.

Vergessen war die Enttäuschung, dass er übrig geblieben war. Auch wenn es länger gedauert hatte und er sich fast schon damit abgefunden hatte, in der Mülltone zu landen, war noch ein Wunder geschehen.

Er würde der schönste aller Weihnachtsbäume sein, die man jemals gesehen hatte.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 22. Dezember: Die Gans ist weg!

In drei Tagen war Weihnachten, es sollte Gans geben und das Geflügel war nicht im Gefrierschrank. Der Super-GAU war eingetreten, den sie immer gefürchtet hatte. Die Hafermastgans war weg! Wo sollte sie jetzt noch eine Gans bekommen? Wenn es noch tiefgefrorenes Geflügel gab, handelte es sich um französische Puten. Wenn sie eines nicht aßen, war es Putenfleisch, weil es so schnell trocken wurde im Ofen.

Sie hatten eine gekauft, daran erinnerte sie sich deutlich. Vor vier Wochen waren sie im Supermarkt gewesen, hatten sich ein schönes tiefgefrorenes Exemplar ausgesucht und hatten es an der Kasse bezahlt. Oder spielte ihr die Erinnerung einen Streich?

Hektisch lief sie zum Regal und nahm eine ausrangierte Keksdose, um die Kassenzettel der letzten Wochen zu studieren. Da, sie hatte den Zettel gefunden. Knapp 25 Euro hatten sie für die Hafermastgans hingeblättert. Und wieso war sie nicht im Gefrierschrank? Hatte sie nie den Weg dorthin gefunden?

Ein jäher Schreck durchfuhr sie. Hatten sie das Geflügel im Einkaufswagen vergessen? Weihnachtseinkäufe stressten sie immer und es war durchaus möglich, dass sie den Tiefkühlvogel liegen gelassen hatte. Was hatte sie nicht schon alles vergessen? Ein Gans war nur der Höhepunkt all dessen.

Was sollte sie anstelle des Vogels machen? Jeder in der Familie erwartete an Heiligabend eine knusprige Gans auf dem Tisch stehen zu sehen. Wenn keine da war?

Hatte sie den Gefrierschrank auch richtig durchgesehen? Vielleicht war der Tiefkühlvogel irgendwo ganz nach hinten gekommen und sie sah ihn deshalb nicht.

Sie öffnete noch einmal den Gefrierschrank, zog die erste Schublade ganz heraus und durchwühlte deren Inhalt. Nichts! Dasselbe machte sie mit der zweiten Schublade, die sie danach kaum wieder reinschieben konnte, weil sie die ganzen Beutel und Schachteln wild durcheinander geworfen hatte.

Gerade wollte sie die dritte Schublade herausnehmen, als ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt und die Haustür aufgeschlossen wurde. Das würde ihr Mann sein. Wie sollte sie ihm nur sagen, dass sie die Gans verloren hatte?

Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass er eine Stunde später als üblich gekommen war.

„Hast du im Stau gesteckt?“, wollte sie wissen.

„Nein, ich war nur noch kurz im Supermarkt, wie wir es besprochen haben.“

„Ich habe doch alles, also fast alles“, sagte sie gedehnt und suchte nach den richtigen Worten, um ihrem Mann zu beichten, dass es dieses Jahr keine Gans an Heiligabend geben würde.

„Genau, du hast fast alles. Es fehlt nur noch das hier“, sagte er und hielt ihr die Tiefkühlgans hin.

„Wo hast du die denn her?“, fragte sie überrascht.

„Aus dem Supermarkt“, sagte er und wunderte sich über ihre Reaktion.

„Aber die haben seit letzter Woche keine einzige mehr. Ist die aus einer neuen Lieferung?“

„Nee, das ist unsere Gans, die wir vor vier Wochen gekauft und dann dem Supermarkt zur Lagerung übergeben haben. Ich weiß doch, wie voll der Gefrierschrank bei uns immer ist. Da hätte die Gans nur gestört und wenn der Supermarkt die Lagerung ohne Mehrkosten anbietet, warum sollten wir es nicht nutzen?“

„Ach!“

Jetzt erinnerte sie sich. Sie hatten die Gans an der Kasse bezahlt und sie einlagern lassen. Das hatte sie völlig vergessen. Wenigstens hatte ihr Mann daran gedacht, sie abzuholen, sonst würden sie an Heiligabend tatsächlich ohne Gans da stehen.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 21. Dezember: Ben, lass die Nadeln dran!

Den Tannenbaum schmücken war so uncool. Nicht einmal die Kugeln gingen kaputt, wenn er sie auf den Boden warf. Die waren alle aus Plastik. Das gefiel ihm nicht.

Gelangweilt sah Ben sich im Wohnzimmer um, ob er nicht etwas cooleres finden konnte als diesen blöden Baum.

Na klar, seine Schwester war voller Eifer dabei, aber die mochte auch alles, was uncool war.

Das war doch ein echter Baum, fiel ihm ein. Warum rochen die Tannennadeln nicht? Hatte sein Vater einen Plastikbaum gekauft? Er hatte mit Mama immer wieder darüber gesprochen, weil der besser sei. So was sah uncool aus. Als Papa Schrauben gekauft hatte, hatten dort Plastiktannenbäume neben einem singenenden Weihnachtsmann gestanden. Der hatte ihm Angst gemacht, dabei wollte er cool sein. Deshalb hatte er sich nicht getraut, den Draht von einem falschen Zweig aufzudrehen, um den grünen Flitter mitzunehmen.

Hier gab es keinen Draht. Der Tannenbaum musste echt sein.

Schnell machte er eine Nadel ab und brach sie durch. Der typische Geruch nach einer Tanne stieg in seine Nase. Er mochte den Geruch nicht. Weg damit!

Nö, er wollte keine Plastikkugeln mehr aufhängen, sondern welche aus Glas. Das machte so ein schönes Geräusch, wenn die runterfielen und kaputt gingen. Seine Schwester musste dann aufpassen, nicht in die Scherben zu treten. Das sah bestimmt cool aus, wie sie herumhüpfen würde, um nicht da reinzutreten.

Ben zupfte weitere Nadeln vom Baum und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Der Baum war blöd, schmücken war blöd, nur Geschenke waren nicht blöd, wenn sie cool waren.

„Ben, was machst du da?“, wurde er von seinem Vater aus den Gedanken gerissen.

„Nichts“, beteuerte dieser.

„Das sehe ich. Dafür, dass du nichts machst, ist der Baum ziemlich kahl an den Ästen. Vorhin sah er noch anders aus.“

„Er verliert Nadeln“, meinte Ben und versteckte seine Hände hinter dem Rücken.

„Weil du sie abmachst. Behalte deine Finger bei dir und lass die Nadeln dran. Nina, Mama und ich wollen einen Baum mit Nadeln haben, sonst stellen wir nächstes Jahr das Gerippe der Nachbarn auf.“

„Der ist uncool und alt.“

„Vom letztem Jahr“, bestätigte sein Vater.

Der sollte nicht bei ihnen im Wohnzimmer stehen. Das war kein Tannenbaum, sondern ein dreckiges nadelloses Etwas, das vielleicht mal ein Baum gewesen war. Total blöd!

Ben nahm eine goldene Girlande und wickelte sie sich um den Kopf.

„Auf die Zweige!“

Menno! Er wollte cool aussehen, jetzt war das für den Baum. Immer nur dieses blöde Ding, dem man nachher nicht zu nah kommen durfte, damit er nicht umfiel.

Ben nahm sich eine Kugel und warf sie auf den Boden. Sie sprang zweimal hoch und blieb dann liegen. Wieso waren die aus Plastik? Oma hatte welche aus Glas, aber da durfte er nicht ran, sonst gab es Ärger. Letztes Jahr hatte man ihm die Geschenke weggenommen, weil er eine Glaskugel kaputt gemacht hatte. Das war gemein gewesen. Man hatte ihm die Carrerabahn weggenommen, die er haben wollte. Auf die wartete er immer noch.

Wütend zupfte er wieder ein paar Nadeln ab. Weihnachten war blöd. Nie durfte er machen, was er wollte. Uncool war das!

„Ben, lass die Nadeln dran“, ermahnte ihn sein Vater.

Trotzig riss Ben noch ein paar weitere Tannenadeln vom Baum. Dieses Mal von einer anderen Stelle, die sein Vater nicht sehen konnte. Es war cool nicht erwischt zu werden.

„Papa, Ben macht den Baum kahl“, hörte er Nina sagen.

Seine Schwester war so uncool!

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 20. Dezember: Belegt

Draußen war es empfindlich kalt geworden. Selbst für sie, die einiges gewöhnt war und sich nicht so schnell Frostbeulen holte, im Gegensatz zu ihren verwöhnten Genossen, die schon jammerten, wenn es zu regnen anfing, waren die Temperaturen zu niedrig.

Da war selbst ihr zu kalt und sie blieb nicht draußen in ihrem Bau mit der kuscheligen Weihnachtsmütze, die absolut nicht wärmte, sondern stattete ihren Genossen einen längeren Besuch ab. Diese Langweiler waren schließlich ihre Familie.

Sie hatte ganz vergessen, wie mollig warm es hier drinnen war. Herrlich!

Kaninchen Hoppel-Knickohr streckte sich ausgiebig und putzte sich ihre Ohren. Man musste schön aussehen, dann endete man nicht als Kaninchenbraten. Davon abgesehen war sie viel zu zäh.

Schnell auf ihren Platz, der hoffentlich von keinem ihrer Genossen für sich beansprucht wurde. Erst vor Kurzem hatte sie allen klar gemacht, dass sich dort niemand breitzumachen habe. Einen besonders uneinsichtigen Genossen hatte sie durch den ganzen Stall gejagt bis er aufgegeben hatte. Im Ggegensatz zu ihren verwöhnten Genossen besaß sie Ausdauer.

Irritiert blieb Hoppel-Knickohr stehen und starrte auf die Stelle, die eigentlich ihr Ruheplatz war. Wieso war ihr Platz besetzt? Wer hatte das getan?

Wütend starrte sie die geschmückten Zweige an, die genau dort standen, wo sie sich gerade hatte ausstrecken wollen.

Das hatte dort nichts zu suchen! Das war ihr Platz!

Ihren Genossen hatte sie klarmachen können, dass sie sich von hier fernzuhalten hatten, nur den Zweibeinern war natürlich nicht bekannt, dass es sich um ihren Platz handelte, der nun von Tannengestrüpp und bunten Kugeln belegt wurde.

Das musste weg! Auf der Stelle! Wenn die anderen mitbekamen, dass sie einfach klein beigab, hätte sie ihr Ansehen bei ihnen verspielt.

Mit ihren scharfen Vorderzähnen zerrte sie an einer Tannenspitze, doch ihre Kraft reichte nicht aus, um das Weihnachtsgesteck von ihrem Platz zu zerren. Vielleicht würde es leichter sein, wenn sie weiter oben reinbiss.

Hoppel-Knickohr stellte sich auf ihre Hinterbeine und zog an einem höher gelegenen Ast. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und fiel rücklings, den Ast noch immer fest mit ihren Zähnen umklammert, dass das Weihnachtsgesteck sich von seinem Platz löste und auf sie fiel.

Mühsam gelang es ihr, sich von den Tannenästen und bunten Kugeln zu befreien. Von ihren Genossen hatte ihr natürlich niemand geholfen. Na, das würde sie diesen heimzahlen, wenn die Gelegenheit günstig war.

Ihr schönes seidenglattes Fell war durch jede Menge Nadeln verunstaltet worden. Sie würde sich erst einmal ausgiebig putzen müssen bis sie wieder vorzeigbar war. Wie gut, dass sie sich im Stall befand, sonst hätte sie jetzt hierherflüchten müssen, damit niemand sie sah. Die Schmach blieb ihr erspart.

Ihr schöner Platz war nicht mehr belegt. Jetzt schnell hin, bevor noch jemand anderes auf die Idee kam und sich dort breit machte. Da legte nur sie sich hin und genoss die Wärme des Stalls. Dieses Tannengestrüpp würde hoffentlich verschwinden.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 19. Dezember: Es schmeckt auch ohne Butter

Das war eine Premiere. Vegane Kekse, ganz ohne Butter und Ei. Nie hätte Ellen gedacht, dass so was funktionieren würde. Aber Kekse ohne Gluten gab es auch und die schmeckten sogar besser als die normalen. Sie hatte es auf der Arbeit ausprobiert. Niemand hatte etwas bemerkt, dafür waren alle total begeistert von dem neuen Rezept gewesen und hatten wissen wollen, was sie geändert hatte.

Nichts, außer dass sie Maismehl genommen hatte, aber alles andere war gleich geblieben.

Heute würden sie vegane Kekse bekommen. Mal sehen, ob jemand einen Unterschied bemerken würde.

„Was hast du denn Feines mitgebracht?“, wollte ihr Chef wissen und starrte neugierig auf die beiden Keksdosen.

„Vanillekipferl und Schwarz-Weiß-Gebäck.“

„Herrlich!“, freute er sich und konnte es nicht erwarten, die ersten Plätzchen zu stibitzen.

„Ich stell’s in die Teeküche“, sagte Ellen und verkniff sich ein Grinsen. Chefchen würde wieder die meisten Kekse nehmen und sich dann lauthals bei den Kollegen beschweren, wer denn so viel gefressen hätte. Ob das auch mit den veganen Keksen so sein würde?

Kaum hatte sie in der Teeküche die beiden Keksdosen abgestellt und geöffnet, als die ersten ankamen.

„Hast du wieder gebacken?“, fragte Rudolf und griff ungeniert in eine der Keksdosen.

„Sieht so aus.“

„Schmeckt gut“, meinte ihr Kollege mit vollem Mund. „Die schmecken noch besser als letztes Mal. Wie machst du das nur?“

Ellen zuckte mit den Schultern. Solange sie in den letzten Jahren Kekse gebacken hatte, hatten diese immer gleich geschmeckt. Es war die gleiche Menge, die gleiche Backzeit und es waren die immergleichen Zutaten gewesen. Da konnte nichts besser oder schlechter schmecken. Die Bedingungen waren immer gleich.

Sie ging an die Arbeit, sah immer wieder, wie ein Kollege sich auf den Weg Richtung Teeküche machte und mit vollbepackten Händen wiederkam.

Manche steckten kurz ihren Kopf in ihr Büro und bedankten sich für die leckeren Kekse.

Nur Iris kam als einzige mit leeren Händen zurück. Sie wirkte richtiggehend enttäuscht und schüttelte immer wieder den Kopf. Was war mit ihrer Kollegin los? Ging es ihr nicht gut?

Ellen ließ ein paar Sekunden verstreichen und ging dann zu Iris, die ihr Büro zwei Zimmer weiter hatte.

„Alles in Ordnung mit dir? Hast du irgendwas?“

„Es geht mir ausgezeichnet. Nein, es ging mir ausgezeichnet bis ich einen deiner Kekse probiert habe. Die schmecken überhaupt nicht. Was hast du damit gemacht? Sind die vegan?“

„Da sind keine Eier drin“, bestätigte Ellen.

„Und keine Butter“, stellte Iris fest.

„Genau, ich habe Margarine genommen.“

„Die vertrage ich nicht, weil es für mich pures Fett ist.“

„Das tut mir leid. Pass auf, Iris, ich backe dir heute Abend ein paar nicht vegane Kekse, die du morgen essen kannst.“

„Das ist lieb, aber das muss nicht sein, du kannst schließlich nichts dafür, dass ich keine Margarine vertrage. Die Kekse sind echt gut. Die anderen merken gar nicht, dass sie vegane Plätzchen essen. Chefchen hat sich einen Teller voll gestapelt. Ich hätte selbst nicht gemerkt, dass die Kekse vegan sind, wenn ich diese Fettempfindlichkeit nicht hätte.“

Dieses Lob gefiel Ellen besonders gut, weil es von jemandem gekommen war, der gemerkt hatte, dass sie vegane Kekse gebacken hatte, auch wenn der Grund nicht so schön war. Das zeigte ihr, dass ihren Kollegen alles schmeckte, egal ob mit Butter oder vegan.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 18. Dezember: Nichts gesehen

Einen Adventskalender zum befüllen zu kaufen war einfach. Seine Familie zu bitten, dass sie etwas für einen kaufte, damit man jeden Tag eine Kleinigkeit bekam, war was anderes. Denn entweder funktionierte es nicht oder man bekam Sachen, die man gar nicht haben wollte. War ihr alles schon passiert.

Dieses Jahr hatte sie die optimale Lösung gefunden und sich selbst ein paar Kleinigkeiten gekauft und dazu noch ein paar Zettelchen mit motivierenden Sprüchen oder kleinen Aufgaben geschrieben. Die hatte sie ihrer Familie übergeben, die sie in die beigelegten Adventskalendertüten ganz nach ihrem Gutdünken packen sollten. So wusste sie zwar, was sie bekommen würde, aber nicht wann. Das war die eigentliche Überraschung.

Mira nahm voller Vorfreunde die Tüte für den heutigen Tag ab und schüttete den Inhalt auf dem Tisch aus. Den Lipgloss mit Kirschgeschmack würde sie nachher gleich ausprobieren, wenn sie in die Uni fuhr. Und was stand auf dem Zettel?

Sei mutig, biete jemandem deine Hilfe an.

Mit verkniffenen Zügen las sie noch einmal, was auf dem Zettelchen stand, aber die Worte änderten sich nicht.

Hilfe anbieten? Heute? Hatte sie keine Zeit. Die Uni ging bis zum frühen Abend und dann musste sie noch ein paar Stunden arbeiten. Ihre Mittagspause wollte sie dafür bestimmt nicht opfern.

Wieso musste gerade heute der Zettel drin sein? Wieso hatte sie ihn überhaupt geschrieben? Hätte der nicht am Sonntag in dem Tütchen drin sein können? Dann hätte sie ihren Eltern angeboten die Wohnung staubzusaugen. Das ging gar nicht. Ein anderer Zettel musste her, sofort!

„Stimmt was nicht, Mira? Gefällt dir der Lipgloss nicht mehr?“, fragte ihre Mutter besorgt.

„Nein, nein, alles in Ordnung. Der Lipgloss ist toll, aber der blöde Zettel. Das ist falsch, was da drauf steht.“

„Ich habe keinen neuen geschrieben. Vielleicht hat dein Bruder…“

„Das ist von mir, aber das passt mir heute nicht. Wieso habe ich das nur geschrieben?“, jammerte Mira.

„Lass sehen“, sagte ihre Mutter und nahm ihr den Zettel ab.

„Tja“, mehr hörte Mira ihre Mutter nicht sagen, sondern sah, wie diese den Zettel und den Lipgloss nahm und beides zurück in die Papiertüte packte.

„Was wird das? Ich will den Lipgloss gleich benutzen.“

„Das würde ich mir noch mal überlegen, wenn du die Aufgabe auf dem Zettel nicht erledigen willst. Dafür machst du einfach heute Abend die Tüte des Adventskalenders auf und tust so, als hättest du es heute Morgen vergessen. So entgehst du deiner Aufgabe und musst sie eben morgen erledigen oder du kochst heute Abend für uns. Das kannst du dir überlegen.“

Bloß nicht kochen, aber die Lösung gefiel Mira. Sie würde einfach heute Abend die Tüte noch einmal aufmachen. Das ihr das nicht selbst eingefallen war. Aber dann konnte sie den Lipgloss nicht benutzen. Na ja, morgen war auch noch ein Tag. Aber zwei Aufgaben würde sie morgen nicht erledigen. Vielleicht würde sie doch was kochen. Irgendwo lag bestimmt noch ein Beutel mit Spaghetti herum und Pesto stand im Kühlschrank. So würde sie das machen.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 17. Dezember: Düstere Gestalten im Garten

Was war es spät geworden. Zu spät, wie er hatte feststellen müssen. Jetzt musste er sich ins Haus schleichen, damit niemand mitbekam, dass er erst jetzt nach Hause käme.

Von vorne konnte er nicht rein, dort war der gesamte Vorgarten in helles Weihnachtslicht getaucht, dass den schlaflosen Nachbarn sofort auffallen würde, wenn jemand auf dem Grundstück herumschlich. Er wollte nicht riskieren, dass man die Polizei rief und dann herauskam, dass nur er es gewesen war. Die Nachbarn würden sich darüber amüsieren, seine Eltern würden ihm Hausarrest aufbrummen und das Smartphone entziehen. Um diese drakonischen Strafen zu vermeiden, die beide Seiten nicht mochten, musste er den Hintereingang nehmen. Der war am besten durch den Garten zu erreichen.

Aua! Er hatte sich den Kopf an irgendeinem dicken Ast gestoßen. Das würde eine Beule geben. Im Garten war es stockduster, dass er die Hand vor Augen nicht sah und der Mond kam nur ab und zu hinter einer Wolke hervor. Er mochte den Weg kennen, aber ohne Licht war es schwer, einen herabhängenden Ast oder eine Beetbegrenzung zu sehen.

Jetzt kam wenigstens der Mond zum Vorschein und leuchtete ihm ein wenig den Weg. Weit war es nicht mehr und er hätte es geschafft.

Er fuhr zurück und erstarrte. Was war das dort vorne? Nein, wer war das?

Schnell rannte er hinter einen Buchsbaum, der wie ein Kegel geschnitten war. In gebückter Haltung lugte er über dessen Rand. Die Gestalt stand immer noch reglos wenige Meter von ihm entfernt. Offensichtlich schien er zu warten. Ob das sein Vater war, um ihn abzupassen? Der konnte nicht wissen, dass er jetzt heimkam. Stand er vielleicht seit Stunden dort und wartete? In der Kälte? Oder… Gab es irgendwo einen Bewegungsmelder, der im Haus angezeigt hatte, dass jemand im Garten herumschlich? Seit wann nutzten seine Eltern diese Technik?

Was machte er jetzt? Abwarten? Das ging nicht. Ihm war kalt und er musste dringend.

Na gut, ergab er sich in sein Schicksal und… Sein Blick war Richtung der Nachbarn gegangen und dort standen noch zwei Gestalten.

Waren seine Mutter und seine Schwester auch hier draußen, um ihm aufzulauern? Wollten sie ihm Angst einjagen? Täuschte er sich und das war nicht seine Familie, sondern Einbrecher, die ins Haus wollten?

Er begann zu zittern, ob von der Kälte oder aus Angst vor den Unbekannten, konnte er nicht sagen.

Wenn das wirklich Einbrecher waren, dann… Was machte er nur? Auf keinen Fall durfte er auf sich aufmerksam machen. Am besten ging er den Weg wieder zurück, den er gekommen war. Oder sollte er sie verjagen?

Mit einer Polizeisirene? Das wäre zu laut. Ein imitiertes Blaulicht, das wäre optimal, denn da wusste jeder gleich bescheid. Hoffentlich gab es so was zum Herunterladen. Wie machte er das Smartphone an, ohne dass er auffiel? Das Licht würde weit über den Buchskegel strahlen. Konnte er es riskieren? Wenn er nichts machte, würde seine Familie in Gefahr geraten. Er musste handeln.

Er fand ein Programm, dass ein Polizeiwarnlicht imitierte, schaltete den Nachtmodus aus und erhöhte die Bildschirmhelligkeit.

Während das Blaulicht lief, lugte er über den Buchsbaum und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die dunklen Gestalten waren weder seine Eltern noch Einbrecher, sondern ein Tannenbaum, der Weihnachtsmann und ein Nussknacker. Alle aus gerostetem Eisen. Wann hatten seine Eltern das im Garten aufgestellt?

Er fing zu lachen an, so komisch fand er es. Weihnachtliche Figuren und er hatte geglaubt, Einbrecher würden das Haus ausspähen. Wer dachte an so was?

Oje, im Schlafzimmer seiner Eltern wurde Licht angemacht. Schnell machte er sein Handy aus und ging hinter dem Buchsbaum in die Knie, um unsichtbar zu werden.

„Lukas, ich weiß, dass du da unten bist. Komm ins Haus“, hörte er seinen Vater sagen.

Mist, jetzt hatten sie ihn doch erwischt. Wäre nur nicht der rostige Weihnachtsmann gewesen.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 16. Dezember: Adventsmusikkonzert im Altenheim

Wogegen war er heute alles allergisch? Nüsse und Mandeln, Äpfel, Laktose und Gluten sorgte bei ihm für Unwohlsein, Pusteln und wer weiß noch was. Dazu war er ganz strenger Veganer, der sich nur von Rohkost ernährte. Damit sollte er von den angebotenen Kuchen verschont werden, die man ihm jedes Jahr aufnötigen wollte.

Während eines Keyboardvorspiels seiner Schüler konnte er nichts essen. Nachher hatte er gerade den Mund randvoll, wenn er den nächsten Interpreten ankündigen wollte. Nichts war schlimmer, als nicht verstanden zu werden, besonders bei Herrschaften, die ohnehin schlecht hörten.

Gleich vier Uhr. Die meisten Alten schienen ungeduldig auf die Weihnachtslieder zu warten. Der Alltag sah wohl ziemlich eintönig aus. Aus Erzählungen wusste er, dass man nur auf die täglichen Mahlzeiten wartete und ansonsten in seinem Zimmer vor dem Fernseher hing. Da dürften ein paar Weihnachtslieder eine schöne Abwechslung sein.

Mal überprüfen, ob alle da waren. Abgesagt hatte nur einer, doch bei dem war es nicht schade. Der schwänzte sowieso mehr Stunden als er da war. Solange die Eltern bezahlten, konnte es ihm egal sein. Eine Email hatte er ihnen bereits geschrieben, nur keine Antwort erhalten. Waren die nicht daran interessiert, dass ihr Sohn keine Fortschritte zeigte? Ein Wunderkind war er nicht, deshalb dürfte auffallen, wenn er immer noch nicht über Mary hat ein kleines Schaf hinausgekommen war und bis auf Alle Jahre wieder kein Weihnachtslied beherrschte. Was hieß beherrschen? Mit Müh und Not fand und hielt er die Töne. Am besten kümmerte er sich im nächsten Jahr um ein erneutes Gespräch.

„Darf ich Für Elise spielen?“, wurde er von Raffi aus seinen Gedanken gerissen.

„Nein, du spielst Winterwonderland und Last Christmas, kein Beethoven.“

Raffi zog sich schmollend auf seinen Platz zurück.

Dieser Junge! Immer und überall kam er mit Für Elise an. Das einzige Stück, das er auswendig konnte, weil er es mit den leuchtenden Tasten seines Keyboards gelernt hatte. Was es heutzutage alles gab, darüber konnte er nur den Kopf schütteln. Einen Schüler wie Raffi auf den Boden der Tatsachen zu holen, dass er trotz Beethoven erst mit einfachen Stücken weitermachen sollte, war nicht eben leicht.

„Wir haben einen schönen Streuselkuchen“, sagte die Kuchentante. „Oder einen saftigen Butterkuchen.“

„Danke, aber ich bin Veganer und esse keinen Indrustriezucker.“

„Ach, wie schade. Apfelkuchen dürfen sie auch nicht. Was machen wir da?“

„Ich muss den ersten Schüler ankündigen“, rettete er sich aus der Bedrouille.

Er hielt eine kleine Rede wie sehr er sich freue auch in diesem Jahr wieder mit seinen Schüler hier auftreten zu dürfen und sagte seinen ersten Schüler an. Der kam nicht. Noch einmal rief er Theo auf, aber nichts.

„Der ist nicht da“, sagte Leah und setzte sich stattdessen ans Keyboard. „Ich spiel’s, ich kann jedes Lied.“

Ja, da hatte Leah recht. Seine älteste Schülerin hatte alle Lieder im Laufe der Jahre bereits gespielt und beherrschte sie. Im Notfall konnte sie immer einspringen.

„Gut“, nickte er ihr zu und kündigte Leah an, die nun Vom Himmel hoch spielen würde.

„Luther!“, rief jemand in den Saal und klang alle andere als erfreut.

Was war das denn?

Leah sah in fragend an und er gab ihr das Zeichen anzufangen.

Es wurde mäßig mitgesungen und schon nach der zweiten Strophe würgte er sie ab. Wenn das so weiterging, würde es eine sehr anstregende Veranstaltung werden.

„Soll ich Für Elise spielen?“

„Nein, Raffi, du weißt, was du spielen sollst und bist jetzt nicht dran.“

Er kündigte das nächste Lied an. Dieses Mal Süßer die Glocken. Bei dem Lied lief es weitaus besser. Wieso hatte das eben nicht funktioniert?

„Ich glaube, nächstes Jahr sollten wir nicht mehr Vom Himmel hoch spielen“, meinte Leah. „Dieses Lied kommt hier nicht an.“

„Wieso nicht? Das müssen die alle in ihrer Jugend gesungen haben.“

„Das ist ein katholisches Altenheim und das Lied wurde von Martin Luther geschrieben.“

Luther! Jetzt wusste er, was der Einwurf vorhin zu bedeuten gehabt hatte. Dieses Lied war nicht erwünscht.

Bloß, weil es von einem Protestanten geschrieben worden war, konnte man es doch in einem katholischen Altenheim spielen. Die Alten wussten gar nicht mehr, von wem das war. Die waren froh, wenn sie singen konnten.

„Jetzt habe ich etwas für Sie“, kam die Kuchentante an und stellte einen Teller vor ihm ab. „Das ist nicht gebacken. Der Boden ist aus Reisflocken mit Dattelsirup und da drüber eine Füllung aus Johannisbeeren, eine Schicht aus weiteren Reisflocken und das ist mit veganer Sahne ummantelt worden. Das können Sie essen.“

Erwartungsvoll sah sie ihn an. Er lächelte gequält und brach sich ein Stück von dem Tortenstück ab, das er mit der Gabel aufspießte.

„Sehr schön“, sagte er, obwohl es ihm überhaupt nicht schmeckte, viel zu süß und ansonsten schmeckte man nur Johannisbeeren, die er seit seiner Kindheit nur noch als Marmelade aß. Wieso hatte er nicht gesagt, dass er auch an einer Soja-Unverträglichkeit litt? Das musste er sich für nächstes Jahr merken. Am besten sagte er, sich den Magen verdorben zu haben, dann würde er Haferschleim serviert bekommen. Ach so, das ging nicht, da er angeblich eine Glutenunverträglichkeit hatte. Irgendeinen Ersatz würde man schon finden.

„Raffi, du bist dran und wehe, du spielst auch nur einen einzigen Ton von Für Elise, dann wirst du nur noch Alle meine Entchen spielen.“

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte – 15. Dezember: Haltet den Dieb!

Wo war sein Portemonnaie? Das hatte er in die Außentasche gesteckt, damit er besser rankam, wenn er was bezahlen musste und nicht umständlich den halben Mantel auszog.

Es war nicht da. Doch, da war es. Es hatte sich verhakt. Rainer zog seine Geldbörse hervor und wollte sie öffnen, als ihn jemand anrempelte.

„Geht’s noch?“, brachte er gerade noch fertig zu sagen, bevor er merkte, dass ihm das Portemonnaie gestohlen worden war. Mitten aus seinen Händen war es gerissen worden, als man ihn angerempelt hatte. Diese Diebe wurden immer dreister. Früher hatte man auf dem Weihnachtsmarkt aufpassen müssen, dass einem kein Taschendieb die Geldbörse aus der Jackentasche schnitt und jetzt wurde sie einem einfach vor dem Bezahlen entrissen.

Der Dieb konnte was erleben. So alt war er noch nicht, dass er die Verfolgung nicht aufnehmen konnte.

„Haltet den Dieb!“, rief er und lief hinter einer dürren Gestalt her.

Verwundert blickten ihn die anderen Weihnachtsmarktbesucher an, machten bereitwillig Platz und waren froh, dass nicht sie es waren, denen man die Brieftasche gestohlen hatte.

Auf dem großen Platz vor dem Karussell tummelten sich besonders viele Leute, dass der Taschendieb in der Menge untertauchen konnte und er ihn aus den Augen verlor. Rainer rannte noch in die eine und in die andere Richtung, konnte den Dieb nicht mehr entdecken und kehrte wütend zu seinem Ausgangspunkt zurück, wo seine Frau zurückgeblieben war.

„Na, hast du ihn geschnappt?“, wollte sie wissen.

Er schüttelte den Kopf.

„Der ist abgehauen. Mein schönes Portemonnaie“, jammerte Rainer. „Da war alles drin. EC-Karte, Personalausweis, Versichertenkarte, diverse Kundenkarten. Das muss ich alles sperren und neu beantragen.“

Ihm graute davor, das alles machen zu müssen.

„Wie konnte dir der Dieb deine Brieftasche aus dem Mantel ziehen? An deine Brusttasche kommt niemand heran.“

„Das hat er mir aus der Hand gerissen, Martina. Hast du das nicht gesehen?“

Manchmal fragte er sich, was mit den Augen seiner Frau los war. Sie sah Dinge, die sich so nie abgespielt hatten.

„Das war dein altes Portemonnaie. Vorhin im Kaufhaus hast du alle Sachen in deine neue Brieftasche gesteckt, nachdem du sie gekauft hattest. Weißt du es nicht mehr?“

Rainer überlegte und erinnerte sich dunkel, dass er eine Geldbörse in die Innenjacke des Mantels gesteckt hatte. Das geklaute Exemplar hatte er aus der Außentasche gezogen.

Er fing zu lachen an. Der Dieb hatte eine völlig leere Brieftasche gestohlen. Dafür hatte er so ein Theater gemacht? Das dumme Gesicht des Taschendiebs hätte er zu gern gesehen, wenn dieser feststellte, dass nicht einmal mehr ein Cent in dem Portemonnaie zu finden war.

(Helen Hoffmann)