#Adventskalender-Minutengeschichte – 24. Dezember: Die Zeit läuft!

Genervt sah sie auf die Uhr. Sie mussten los und steckten immer noch im Flur fest, weil der werte Herr seinen zweiten Schuh nicht fand. Warum zog er nicht das andere Paar an? Damit könne er nicht Autofahren. Dann setzte sie sich hinters Steuer. Patrick wollte noch lebend Weihnachten erleben. Sehr witzig!

„Jetzt komm, wir sind viel zu spät.“

„Du hättest eher daran denken können, dass wir noch die Gans abholen müssen.“

„Ich habe das gesagt, aber du wolltest erst den Baum fertig schmücken.“

„Das ist wichtig.“

„Die Gans ist wichtiger. Heute Abend muss sie goldbraun gebacken aus dem Ofen auf den Tisch.“

„Warum hast du sie nicht gestern abgeholt?“

„Ich musste arbeiten. Du weißt, wie stressig das vor Heiligabend bei uns immer ist. Da will dauernd jemand etwas.“

Endlich hatte Patrick seinen zweiten Schuh gefunden und auch angezogen. Es konnte losgehen.

„Ist das kalt!“, merkte ihr Mann an und drehte im Auto erst einmal die Heizung hoch. Sie hatten kaum die Straße verlassen, als es im Wagen so heiß wie in der Sahara war.

„Nicht so heiß. Die Gans verdirbt bis wir sie nach Hause gebracht haben.“

„Kauf eine Kühltasche. Wir können hinten ein Fenster aufmachen, dann bleibt sie kühl und frisch.“

Kaum befanden sie sich auf der Hauptstraße, als sie sich kaum noch von der Stelle rührten. Vor ihnen, neben ihnen und hinter ihnen standen jede Menge Autos. Wo wollten die alle hin?

„Gegenwärtig haben wir einen Stau von zehn Kilometer Länge auf der Eichsfelder Straße“, wurde im Radio durchgegeben.

„Das ist ein Witz. Wer hat da keine Winterreifen aufgezogen?“

„Es gibt immer Experten, die meinen, das lohne sich nicht, weil es bei uns nicht mehr richtig kalt würde“, meinte Patrick.

„Wir haben seit drei Tagen Schnee liegen und die Temperaturen sind arktisch. Da soll der Winter ausfallen?“

Ihr Mann zuckte die Schultern, weil er darauf keine Antwort wusste. Manche waren einfach zu bequem die Reifen zu wechseln. Sollten sie Allwetterreifen aufziehen lassen, das ersparte ihnen das ständige Wechseln.

„Kannst du da irgendwie rumfahren?“, wollte sie wissen.

„Nee, hier wird überall gebaut. Ich weiß gar nicht, welche Straßen aktuell gesperrt sind. Ich könnte nur versuchen über den Leipziger Damm zu fahren. Aber der ist auch noch mindestens einen Kilometer entfernt.“

„Warum muss so was immer passieren, wenn man es eilig hat? Die Waschmaschine kommt auch nie in Gange, wenn sie schnell waschen soll und dreht und dreht und dreht.“

Zunehmend verzweifelt sah sie auf die Uhr und konnte nicht verhindern, dass die Zeiger sich unaufhörlich weiterdrehten. In einer Viertelstunde würden die Läden schließen. Das konnten sie niemals rechtzeitig schaffen, wenn kein Wunder geschah. Ob sie zu Fuß…? Nicht bei der Kälte. Innerhalb kürzester Zeit wäre sie völlig durchgekühlt. Sie hatte ihren dünnen Mantel angezogen, weil sie nur die Gans mit dem Auto hatten abholen wollen und nicht mit einem Stau gerechnet hatte. Handschuhe lagen natürlich auch zu Hause.

„Hast du Handschuhe dabei?“

„Die habe ich an, damit meine Finger nicht einfrieren.“

Ein Blick zu seinen Händen bestätigte Patricks Aussage. Dass ihr Mann ein Frostködel war, wusste sie, aber so übertrieben hatte er noch nie. Es war kalt gewesen im Auto, aber nun schwitzte sie. Noch ein Grund, sich nicht zu Fuß auf den Weg zu machen.

Wie lange standen sie an dieser Stelle und es ging nicht weiter? Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es waren erst drei Minuten vergangen, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Die Autos vor ihnen setzten sich in Bewegung. Fünf Meter, vielleicht sechs Meter, aber mehr waren sie nicht vorangekommen. Wenn das so weiterging, würden sie in zwei Stunden noch im Stau stehen. Warum musste das passieren, wenn sie es eilig hatten? Ob sie nicht doch zu Fuß?

Ein Blick durchs Fenster auf die nebelverhangenen Wege ließ sie ihren Plan vergessen. Wenn sie sich nur länger als fünf Minuten draußen aufhielt, würde sie morgen mit Fieber im Bett liegen.

Es ging etwas zügiger voran, die Abfahrt war schon in Sicht, als sie wieder stehenblieben.

„Kannst du nicht überholen und abbiegen?“, fragte sie ihren Mann.

„Bist du verrückt? Ich setze meinen Führerschein nicht für so was aufs Spiel. Heutzutage nimmt doch jeder mit seinem Handy auf, wenn jemand Mist baut. Wir warten.“

Ich kann nicht warten.

Zunehmend verzweifelt sah sie die Uhr ticken. In sieben Minuten machte der Laden dicht. Sie würde ihre Gans nicht mehr bekommen. Hatte sie überhaupt Geld eingesteckt? Verdammt, das hatte sie auch noch vergessen. Hofffentlich hatte Patrick seine Karte dabei. Wenn jetzt das Kartengerät defekt war? Das kam immer wieder vor.

Sie musste ihre Gans haben. Jetzt nur nicht in Panik geraten.

Die Autos setzten sich wieder in Bewegung und dieses Mal konnte ihr Mann abbiegen. Zügig ging es voran. Noch vier Minuten, aber das sollten sie schaffen. Da vorne war auch schon der Laden.

Wie leer der Parkplatz war. Bei dem Wetter schien sich niemand nach draußen zu trauen.

„Park ganz vorne, damit ich schnell in den Laden laufen kann“, gab sie Anweisung und nahm ihr Handy aus der Tasche. Sie hatte zwei Anrufe verpasst. Wieso hatte sie es auf lautlos gestellt?

Das war der Leiter des Ladens, wo sie die Gans abholen wollte. Was sagte er? Wo sie bleibe? Sie war jetzt da, wenn auch drei Minuten bevor sie zumachten.

Patrick hatte den Motor noch nicht ausgeschaltet, als sie aus dem Wagen sprang und zum Eingang lief. Wieso sah das drinnen so dunkel aus? Hatten sie schon zugemacht? Es waren noch drei, nein, zwei Minuten. Das sah völlig verlassen aus. Selbst der Parkplatz war leergefegt.

Sie wollte durch die Tür und wäre fast gegen die Scheibe geknallt, weil sich diese nicht öffnete. Was war hier los? War schon wirklich alles zu?

Sie sah das Schild mit den Sonderöffnungszeiten. Dort stand dreizehn Uhr und nicht vierzehn wie sie gedacht hatte. Jeder Laden machte um vierzehn Uhr zu, nur dieser nicht, weil er schon um sechs geöffnet hatte.

Wo war jetzt ihre Gans? Sie hatte eine bestellt und die wollte sie jetzt abholen. Sie wollte ihr Geld zurück!

Wo bekam sie jetzt noch eine frische Gans her? Alle Läden waren zu und sie hatte nicht einmal eine gefrorene in der Tiefkühltruhe. Das einzige, was sie machen könnte, wären Kartoffelpuffer. Die wollte an Weihnachten niemand essen. Verdammt, warum hatte sie sich in der Zeit vertan und warum hatte sie ihr Handy auf lautlos gestellt?

Da war doch ein weiterer Anruf auf ihrem Handy. Die gleiche Nummer wie zuvor. Was hatte der Leiter des Ladens ihr vor knapp fünfzig Minuten zu sagen gehabt?

Man habe sie nicht erreichen können, deshalb werde die Gans am Lieferanteneingang bereitgestellt, damit sie diese abholen könne. Rechnung liege bei, die sie nach den Feiertagen sofort zu bezahlen habe.

Die Gans war da! Die Gans war da! Der Abend würde gerettet sein.

Sie ging mit Patrick im Schlepptau um den Laden herum bis sie beim Lieferanteneingang ankamen.

Da hing die frische Gans, bereit zur Verarbeitung. Nein, zwar noch frisch, aber tiefgekühlt. Die Kälte hatte sie in einen Eisklotz verwandelt. Wie sollte sie die nur bis heute Abend auftauen und zubereiten? Wenn etwas schiefging, ging alles schief.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte 24. Dezember: Weihnachten fällt aus

Weihnachten? Nein, auf keinen Fall! Dieses Jahr würde nicht gefeiert werden.

Die Kinder waren endlich aus dem Haus, seine Frau und er hatten etwas Ruhe verdient. Deshalb würde es dieses Jahr garantiert kein Weihnachten geben. Es fiel bei ihnen einfach aus. Wenn er das den Kollegen erzählte, hatte er ständig ein Kopfschütteln geerntet. Die meisten hatten auch noch Kleinkinder oder die Kinder waren mit Partner und den eigenen Kindern da.

Sie würden endlich Ruhe haben. Die Adventszeit war richtig entspannt gewesen. Keine Kekse, die gebacken werden mussten, keine großen Einkäufe und stundenlanges Anstehen an der Supermarktkasse, weil vor ihm der gesamte Jahreseinkauf erledigt wurde. Seine Frau musste sich keine Gedanken darüber machen, was sie dieses Jahr kochen würde, weil eines der Kinder gerade zum Vegetarier oder Veganer mutiert war und man dann natürlich keine Gans servieren konnte und nur Beilagen ging auch nicht.

Dieses Jahr würde es an Heiligabend Fondue geben. Da musste man praktisch nichts vorbereiten und konnte sich nebenbei in aller Ruhe unterhalten, während man darauf wartete, dass sein Fleisch gar wurde.

Die Weihnachtsbäume konnten da bleiben, wo sie angeboten wurden. Mit dem Geld, was sie dabei sparten, konnten sie irgendetwas Schönes unternehmen. Solange es nicht ins Konzert ging. Ruth liebäugelte mit dem zu tiefen Tenor. Den hörte er sich bestimmt an, nicht einmal seiner Frau zuliebe.

Und dann die Geschenke. Was hatte er jedes Jahr Blut und Wasser geschwitzt, weil ihm einfach nichts Passendes einfiel, was er seiner Frau oder den Kindern schenken konnte. Auch das Problem hatte sich dieses Jahr in Wohlgefallen aufgelöst. Sie hatten vereinbart, sich nichts zu schenken. Keine enttäuschten Gesichter, kein Umtauschen am ersten Tag nach den Weihnachtsfeiertagen.

Dieses Jahr würde Weihnachten endlich so ablaufen, wie er es sich wünschte.

Da konnten Nachbarn, Kollegen und die Geschäfte noch so sehr alles weihnachtlich dekoriert haben, es interessierte ihn genauso wenig wie Halloween-Dekoration. Gegen so etwas war er immun und wurde nicht in Versuchung geführt.

Er kam von der Arbeit nach Hause und freute sich schon auf die warme Stube.

Jawohl, Weihnachten fällt aus!

Wieso stand da ein Baum im Wohnzimmer? Irritiert sah er auf die Weihnachtsdecke, die den Baumständer verdeckte. Wieso lagen dort Geschenke? Hatte er was verpasst?

(Helen Hoffmann)

WIR WÜNSCHEN ALLEN FROHE WEIHNACHTEN!