#Adventskalender-Minutengeschichte – 23. Dezember: Nimm mich mit!

Was war nur geschehen? Vor wenigen Wochen hatte er noch mit all den anderen in Reih und Glied gestanden. Gegenseitig hatten sie sich ihren schönen Wuchs geneidet. Jeder wollte der Schönste sein. Was hatte er sich gefreut, als er mit einigen anderen ausgewählt worden war, um später das Heim einer Familie zu schmücken und Behaglichkeit auszustrahlen.

Er war sicher gewesen, dass er der erste wäre, den man nehmen würde. Er war gut gewachsen, hatte einen schönen Stamm und alle Nadeln waren bei ihm dran, von seinem dichten Kleid gar nicht erst zu sprechen. Doch statt ihm waren all die anderen genommen und gekauft worden. Ihn hatten sich einige angesehen, aber jeder hatte etwas gefunden, was ihm nicht gefiel und ihn wieder weggelegt. So war er der letzte geblieben. All die anderen, die es nicht am ersten Tag geschafft hatten, jemanden zu finden, hatten im Laufe der Wochen noch jemanden gefunden, aber ihn hatte niemand beachtet.

Was war nur mit ihm? Warum wollte ihn niemand haben? Er war schön gewachsen. Ein prachtvoller Weihnachtsbaum. Das musste jemand sehen!

Aber es hatte niemand gesehen. Weihnachten näherte sich immer schneller. Inzwischen war er direkt an die Kasse gestellt worden, aber niemand wollte ihn. Anscheinend hatten alle bereits einen Baum. Es war traurig, was für ein einsames Dasein er fristen musste. Er fühlte sich verloren.

Jetzt lag er hier in der Kälte und fror. Niemand mehr, der ihn beachtete. Was hatte er falsch gemacht?

Trotz der Wochen in der Wärme hatte er kaum Nadeln verloren, sah immer noch frisch aus. Nur das Netz, dass ihn eingeengt hatte, war an einigen Stellen kaputt. Nun konnte man viel deutlicher sehen, wie stattlich er aussah. Wollte ihn immer noch niemand haben?

Selbst beim Personal hatte er Mitleid erregt, aber mitnehmen wollte ihn niemand. Jetzt hatte man ihm sogar ein Schild umgehängt. Er hatte gehört, was da drauf stand. Nehmt mich mit. Ich bin kostenlos. Selbst als Gratis-Angebot schien er ein Ladenhüter zu sein, denn niemand hatte sich seiner erbarmt. Es war traurig, welches Schicksal er fristen musste.

Wollte ihn denn niemand haben? Sollte er morgen an Heiligabend seinen Weg in die Mülltonne finden? Er war nicht aus der Plantage gezogen, um so schmachvoll zu enden.

Hallo? Wollte ihn niemand haben? Er war hier! Völlig kostenlos! Gratis! Umsonst!

Verzweifelt versuchte der einsame Tannenbaum auf sich aufmerksam zu machen, doch die Menschen waren viel zu hektisch, als dass sie einen Blick auf ihn warfen. Wie sollte er nur jemanden finden, der ihn mit nach Hause nehmen würde? Er konnte doch nicht sprechen.

Traurig ließ er Nadeln und Äste hängen und fand sich damit ab, dass es nicht mehr lange dauern würde bis er die riesige Mülltonne von innen betrachten würde. Davor fürchtete er sich. Es würde eng und dunkel werden. Das wollte er sich gar nicht vorstellen.

Die anderen Bäume würden über ihn lachen, wenn sie von seinem Schicksal erfahren würden. Was hatte er für Töne gespuckt, was für ein schöner Baum er sei.

„Guck mal, Papa. Ein Weihnachtsbaum“, hörte er eine Kinderstimme sagen.

Wo war jemand, der ihn erblickt hatte? Aufgeregt raschelte er mit den Nadeln, um Aufmerksamkeit zu erringen.

„Da steht etwas“, sagte der Junge und deutete auf den Zettel.

„Der Baum wurde nicht verkauft, deshalb ist er jetzt gratis“, sagte sein Vater. „Er liegt hier und wartet auf einen neuen Besitzer.“

„Können wir ihn nicht mitnehmen?“, fragte der Junge.

„Ich dachte, du wolltest keinen Baum“, sagte sein Vater.

„Schon, aber sieh ihn dir an. Der liegt hier ganz einsam und würde sich bestimmt freuen, wenn wir ihn mitnehmen und schmücken.“

„Wenn du das denkst, sollten wir es tun“, sagte der Vater und warf sich den Baum mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, als würde er nichts wiegen, um ihn nach Hause zu transportieren.

Vorsichtig! Er war empfindlich. Nicht so schaukeln, sonst wurde ihm übel. So war es besser.

Der Tannenbaum freute sich, dass er noch jemanden gefunden hatte, der ihn mitnahm und schmücken würde, dass er seine volle Pracht entfalten konnte.

Vergessen war die Enttäuschung, dass er übrig geblieben war. Auch wenn es länger gedauert hatte und er sich fast schon damit abgefunden hatte, in der Mülltone zu landen, war noch ein Wunder geschehen.

Er würde der schönste aller Weihnachtsbäume sein, die man jemals gesehen hatte.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender-Minutengeschichte 23. Dezember: Ben, sei lieb zum Weihnachtsmann

Nö, er würde jetzt nicht kommen. Papa konnte warten. Immer wollte der was von ihm. Wie sollte man cool werden, wenn man immer gestört wurde?

“Ben!”, hörte er Papa wieder rufen. “Du kommst jetzt sofort runter!”

“Nein!”, rief er runter.

“Du kommst jetzt!”

Jetzt klang Papas Stimme ungehaltener. Seine Schwester wäre schon längst runtergerannt, aber die war auch nicht cool, sondern nervig.

“Wenn du nicht sofort kommst, bringt dir der Weihnachtsmann morgen keine Geschenke.”

Das war gemein! Er wollte seine Carrerabahn in der Super-Mario-Ausgabe haben.

Murrend trampelte er die Treppe hinunter. Das sollte er nicht, aber es war cool.

“So, Ben, setz dich. Morgen ist Heiligabend, wie du weißt, da bringt der Weihnachtsmann die Geschenke.”

“Das ist nicht der Weihnachtsmann. Der Bart ist falsch!”

Letztes Jahr hatte er kräftig daran gezogen und der Weihnachtsmann war bartlos gewesen. Das war gar kein alter Mann gewesen. Man hatte versucht ihn zu verarschen. Deshalb hatte er dem Weihnachtsmann Juckpulver in den Kragen geschüttet. Was hatte der für Verrenkungen gemacht. Das war lustig gewesen.

Das Jahr davor hatte er dem Weihnachtsmann gegen das Knie getreten. Er sagte keine Gedichte auf. Die waren blöd.

“Genau darüber will ich mit dir sprechen. Du hast deiner Schwester letztes Jahr große Angst eingejagt. Erinnerst du dich noch, wie sehr sie geweint hat, weil sie dachte, der Weihnachtsmann wird nun nie mehr zu uns kommen?”

“Der war blöd!”

“Das Jahr davor auch, als du den Weihnachtsmann getreten hast? Was hat er dir getan?”

“Er ist uncool.”

“Es hat nichts mit cool oder uncool zu tun, wie man den Weihnachtsmann behandelt. Deine Schwester freut sich schon so auf morgen, aber sie hat Angst, dass wegen dir der Weihnachtsmann nicht mehr kommen wird.”

Bens Vater verschwieg ihm, dass es dieses Jahr äußerst schwierig gewesen war, einen Leih-Weihnachtsmann zu bekommen, weil sich in den Agenturen bereits herumgesprochen hatte, was für ein Früchtchen von Sohn in diesem Haushalt lebte. Sollte dieses Jahr wieder etwas passieren, waren sie überall gesperrrt. Sie konnten doch nicht den Nachbarn fragen, ob er den Dienst übernehmen würde. Wer weiß, was Ben anstellen würde, wenn er den Nachbarn erkannte. Nina war noch zu klein, um zu verstehen, warum der Weihnachtsmann nicht mehr käme.

“Ich sag’s dir nur einmal und du wirst dich daran halten. Ben, sei lieb zum Weihnachtsmann”, ermahnte ihn Papa.

“Ja, ja”, brummelte Ben vor sich hin und lief wieder auf sein Zimmer.

Lieb sein war gar nicht cool.

(Helen Hoffmann)

#Adventskalender 23. Dezember – Weihnachten? Schon wieder Weihnachten?

Der Blick auf den Kalender verriet es: Morgen war Heiligabend. Und er hatte davon überhaupt nichts mitbekommen.
Na gut, er hatte bemerkt, dass die Weihnachtsmärkte wieder geöffnet hatten und überall Lichterketten aufgehängt worden waren. Irgendwie hatte er verdrängt, dass Weihnachten sein würde.
Draußen war es herbstlich, es regnete. Der Winter sah wahrlich anders aus.
Kein Wunder, dass für ihn nicht bald Weihnachten vor der Tür stand, wenn das Wetter der Meinung war, es müsse weiterhin dem Herbst huldigen. Nun war morgen Heiligabend und er hatte kein Geschenk. Also würde er sich heute noch ins Getümmel werden müssen, um irgendwelchen Blödsinn zu erweben, den niemand haben wollte, nur weil man etwas Schenken musste.
Viele Menschen musste er glücklicherweise nicht beschenken. Früher hatte sich seine Freundin darum gekümmert und ihn rechtzeitig auf wichtige Daten aufmerksam gemacht. Seitdem sie weg war, war er total aufgeschmissen. Kein Wunder, dass er Weihnachten beinahe vergessen hatte.
Musste er die Fenster noch weihnachtlich dekorieren? Andere hatten auch keinen Schwibbogen auf dem Fensterbrett stehen oder irgendetwas weihnachtliches an die Fenster gehängt oder geklebt.
Dann konnte er diesen Punkt also abhaken. Sehr schön, ersparte er sich diese Arbeit, die er ohnehin nicht verstanden hatte, weil er der Meinung war, dass es reichte, wenn man nur die Wohnung selbst weihnachtlich dekorierte. Er selbst brauchte das nicht, weil er es gar nicht sah. Seine Freundin hatte immer gesagt, vor ihm könne der Weihnachtsmann stehen und er würde ihn für einen Spendensammler halten.
Das hatte er immer etwas übertrieben empfunden, als würde er nicht mitbekommen, was um ihn herum geschah.
Sein Blick fiel wieder auf das heutige Datum des Kalenders. So oft er auch hinsah, aber der Tag veränderte sich nicht.
Weihnachten? Schon wieder Weihnachten? Das Jahr war schnell rumgegangen.
(Helen Hoffmann)

Adventskalender 23. Dezember – Reisevorbereitungen

Regen, Regen, nichts als Regen. Dazu wehte ein scharfer Wind. Wo war der Winter? Wo war der Schnee?
Weiße Weihnacht war Jahre her. Das wollten sie auch gar nicht, aber wenn es sich draußen wenigstens wie Winter anfühlen würde und nicht wie ein verregneter Herbsttag. Bei so einem Schmuddelwetter konnte keine Weihnachtsstimmung aufkommen. Man sah die weihnachtliche Dekoration überall, hörte Weihnachtslieder, aber dennoch blieb es einem fremd, als könne man mit Weihnachten nichts anfangen.
Deshalb hatten sie dieses Jahr einmal Weihnachten anders verbringen wollen. Raus aus der Stadt, weg vom Dauerregen und rein ins Schneeparadies.
Die Reise war gebucht und heute Abend würde es losgehen. Heiligabend würden sie im Schnee verbringen. Es mussten nur noch die letzten Vorbereitungen getroffen werden, dann konnte es losgehen.
Eine Reise mit dem Nachtzug war entspannend. Man musste nicht Stunden vorher da sein, um sein Gepäck aufzugeben und einzuchecken, sondern kam gemütlich eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges an und konnte sicher sein, dass die gebuchten Plätze nicht anderweitig vergeben worden waren.
Skibrille und -helm mussten noch eingepackt werden, dazu die Skischuhe. Das würde einiges an zusätzlichem Gepäck ausmachen, aber auch das war bei einer Zugreise kein Problem. Man war nicht gezwungen, sich an die zwanzig Kilo Freigepäck zu halten. Aber mehr Koffer als man tragen konnte, sollte man dennoch nicht dabei haben. Für die paar Tage würden drei Gepäckstücke reichen.
Die Fahrkarte war in der Jackentasche verstaut, die Bestätigung der Hotelbuchung ebenfalls. Damit war alles da, was nötig war.
Die Handgepäckstasche musste noch gepackt werden. Das Wichtigste wie immer zum Schluss. Die Brötchen waren geschmiert, die Limonade stand gleich daneben. Dazu die Feuchttücher, Flüssigseife und das Desinfektionsspray. Man musste auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Wer weiß wie die Toilette im Zug aussehen würde. Da hatten sie schon Sachen erlebt. Fehlende Seife war das harmloseste gewesen. Daran wollten sie jetzt nicht denken, sondern sich auf die schöne Reise freuen.
Moment, die Geschenke mussten noch mit. Nur eine Kleinigkeit, denn das größte Geschenk, das sie sich machten, war die Reise.
Hatten sie jetzt alles? Ein kurzer Blick auf die Liste und es gab nichts mehr zu erledigen. Es war alles abgehakt. Das Handgepäck war das letzte gewesen, was hatte gepackt werden müssen.
So konnten sie entspannt das Haus verlassen und sich auf dem Weg zum Bahnhof machen. Wo war nur der Haustürschlüssel geblieben?
(Helen Hoffmann)

Adventskalender 23. Dezember – Rätselhaftes Einkaufsverhalten

Am Tag vor Weihnachten einkaufen zu gehen war eine Strafe. Überall drängten sich die Leute in den Gängen, um noch schnell etwas zu kaufen. Drei Feiertage hinterteinander waren einfach zu viel, als das man für die lange Zeit genügend im Haus hatte. Dabei stand nicht erst seit heute fest, dass drei Tage hintereinander kein Geschäft geöffnet haben würde.
Er wäre auch nicht freiwillig in einen Supermarkt gegangen, wenn er nicht noch unbedingt für morgen etwas hätte besorgen müssen. Erging das den anderen Leuten auch so? Hatten sie auch bemerkt, dass ihnen auch noch etwas für Weihnachtsessen fehlte? Wenn er in deren Einkaufswagen blickte, sah es eher nicht so aus. Da waren keine Nahrungsmittel drin, sondern geistige Getränke. Besser gesagt hochprozentige Alkoholika. Er war an Wagen vorbeigegangen, da stapelten sich die Kisten, dass eine Person schob und die andere die Kartons festhielt.
Was machte man mit so viel Alkohol? Wollte man damit die unliebsame Verwandtschaft ruhigstellen, wenn sie zu Besuch kam? Wollte man sich selbst einen antrinken, um seine Gäste ertragen zu können? Verschenkte man vielleicht jedem Gast oder Freunden, Bekannten und Verwandten eine Flasche Wodka?
Seltsamerweise hatten die alle Wodka gebunkert, keinen Schnaps oder sonst dergleichen, nur Wodka. Den guten deutschen aus Berlin, der nach einem ehemaligen russischen Präsidenten benannt war, den es allerdings schon gegeben hatte, als dieser noch gar nicht lebte.
Billig waren die Flaschen auch nicht, selbst wenn sie im Angebot waren, aber wollten die Leute mit diesen unmöglichen Mengen?
Seltsam war, dass sie an der Kasse nicht aufgehalten wurden, sondern tatsächlich so viel kaufen durften. Das ging doch weit über die haushaltsübliche Menge. Ihm würde man nie und nimmer so viel Alkohol verkaufen, aber er wusste auch gar nicht, was er damit eigentlich sollte.
Würden dieselben nächste Woche kistenweise Sekt kaufen? Erst strapazierten sie tagelang ihre Leber mit Wodka und dann würde es mit Perlwein weitergehen. Ein Wunder, dass die Alkoholvergiftungen um Weihnachten und Silvester herum nicht zunahmen.
Ein Vorteil hatte dieser Masseneinkauf von Alkoholika. Man stand selbst nicht so lange an der Kasse, weil nur ein Artikel gescannt werden musste und dann die Anzahl der Flaschen eingegeben wurde. Das war natürlich ein großer Vorteil, aber was die Leute mit dem ganzen Alkohol wollten, wusste er immer noch nicht.
(Helen Hoffmann)