Die Rollen des Seth wurde überarbeitet

Habe heute die überarbeitete Fassung von IJ2 alias DIE ROLLEN DES SETH bei Neobooks hochgeladen.Nun liegt es in deren Hand, die Aktualisierung schnell an die Vertriebskanäle weiterzuleiten.
Was wurde geändert?
Zum einen wurden letzte Tippfehler entfernt und zum anderen die Handlung um wenige Sätze erweitert. Außerdem wurden unlogische Handlungsstränge in Ordnung gebracht.

Wer noch nict DIE ROLLEN DES SETH gelesen hat, sollte dies schnellstens nachholen. Aber erst einmal auf die Aktualisierung warten.
Übrigens ist der Thriller auch ein schönes Weihnachtsgeschenk. In wenigen Tagen soll auch eine gedrückte Version des Romans raus kommen. Die wird dann allerdings ein paar Euro teurer sein als das Ebook.

Endlich als eBook erhältlich

Eine gute Nachricht habe ich zu vermelden. Der hier vorgestellte Roman, die Rollen des Seth, ist endlich als eBook erhältlich. Seit vergangener Woche bereits bei Xinxii. Ab heute auch bei Neobooks.com und deren Vertragspartnern (diese werden in den nächsten Tagen folgen).
Das Buch kostet 4,99 Euro. Mag vielleicht ein stolzer Preis sein, aber das Werk ist jeden Cent wert.

Hier eine kurze Inhaltsangabe:
1912 kommt in Hamburg ein junger Ägypter an. Er ist Mitglied der Völkerschau „Am Nil“, die im Stellinger Tierpark gastieren soll. Doch seine eigentliche Aufgabe ist es, einen Krug und eine Kette zu verstecken, die seit Jahrhunderten seiner Familie den Tod gebracht haben. Gemeinsam mit seinen zwei neuen Freunden, einem Kaufmannsenkel und einem Tierpfleger, versucht der junge Ägypter die Gegenstände in Sicherheit zu bringen. Doch das ist schwerer als gedacht, denn seine Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen und zu allem entschlossen…
Knapp hundert Jahre später taucht der Krug wieder auf. Die Ägyptologin Isis Just ersteigert ihn, nichtsahnend, damit nicht nur einen Gegenstand in Besitz gebracht zu haben, der die Geschichte Hatschepsuts, Nofretetes, Echnatons und Tutanchamuns neu schreiben würde. Doch das Wissen der Schriftrollen ist gefährlich. Mit aller Macht versucht eine geheimnisvolle Bruderschaft, das Wissen in ihren besitz zu bekommen. Dabei schrecken sie nicht einmal vor Mord zurück. Während Isis Just das Rätsel ihrer Vorfahren und das der Schriftrollen zu lösen versucht, zieht sich das Netz der Bruderschaft immer enger um sie…

Wer nun Lust bekommen hat, das Werk zu erwerben, kann sich auf die Seite von Xinxii oder aber von Neobooks begeben. Die Daten für das Buch sind einfach.
Autor: Helen Dalibor
Titel: Die Rollen des Seth
Kategorie: Thriller, historisch

12. Kapitel

Staunend stand Johann vor dem Löwen-Gehege. Faul lagen die Raubkatzen in ihrem Gehege und dösten, nur durch einen Wassergraben getrennt von den Besuchern. Wie war es möglich, daß hier die Löwen nicht hinter Gitter waren, wie es im Zoologischen Garten war? Der Zoologische, wie er von den Hamburgern genannt wurde, befand sich in der Nähe des Dammtor-Bahnhofs. Der bekannteste Direktor des zoologischen Tiergartens war Alfred Brehm gewesen, der nach einigen Jahren den Posten wegen Unstimmigkeiten abgegeben hatte. Obwohl dieser Zoo länger bestand als der Tierpark vor den Toren Hamburgs, mußte er geringere Besucherzahlen vorlieb nehmen. Vielleicht lag es an den revolutionären Gehegebauten, die hier in Hagenbecks Tierpark zu betrachten waren. Nicht Gitter trennte die Besucher von den Tieren, sondern Gräben. Sicherlich waren auch die Völkerschauen ein weiterer Grund, weshalb die Besucher strömten.
„Gefallen dir die Löwen?“, fragte jemand in seinem Rücken und legte Johann eine Hand auf die Schulter.
Der blonde Junge zuckte zusammen, erstarrte und hielt die Luft an. Ich bin entdeckt, ging es ihm durch den Kopf.
„So sprachlos, junger Herr?“
Neben Johann tauchte ein um einige Jahre älterer junger Mann auf, der im Tierpark zu arbeiten schien, er trug die typische Kleidung der Tierpfleger.
„Wollte nur gucken“, erwiderte Johann schnell. Seine Stimme zitterte und seine Zunge verhaspelte sich bei den Worten. „Eintrittskarte hab‘ ich verloren.“
„Danach habe ich dich gar nicht gefragt.“ Der junge Mann musterte Johann. „Hast du dich etwa rein geschmuggelt?“
Mit schreckgeweiteten Augen sah er den Tierpfleger an. Durch eine unbedachte Aussage hatte er sich selbst verraten. Alles würde auffliegen. Er müßte zurück aufs Schiff oder schlimmer noch, zurück zu seiner ungeliebten Tante. Hätte er nur geschwiegen! Bevor er weiter nachdachte, rannte er los, so schnell er konnte. Weit kam er nicht. Als er um die Ecke bog, stieß er mit einem Besucher zusammen und fiel hin.
„Paß auf, wo du hinläufst!“, hörte er den älteren Herrn sagen.
Bevor er aufgestanden war, wurde er unsanft am Kragen gepackt.
„So schnell entkommst du mir nicht, Freundchen!“
„Es ist doch nichts geschehen. Er hat nur nicht aufgepaßt, wohin er gelaufen ist.“ Die eben noch erregte Stimme des männlichen Besuchers klang nun sanfter und besorgt.
„Darum geht es nicht.“
Johann wurde am Kragen hochgezogen bis er auf seinen beiden Beinen stand. Dann spürte er einen harten Griff um sein Handgelenk, als würde Eisen es umfassen.
„Hat er was angestellt?“
„Nein, mein Bruder kann nur nicht gehorchen. Und nun gehen Sie weiter. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Hagenbecks Tierpark.“
Im Gesicht des Besuchers, mit dem Johann zusammengestoßen war, stieg die Zornesröte hoch. Ohne ein Wort ging er weiter.
Verdutzt sah Johann den Tierpfleger an. Hatte dieser gerade gelogen und ihn als seinen Bruder ausgegeben?
„Bruder? Wieso haben Sie das gesagt?“
„Mir ist auf die Schnelle nichts anderes eingefallen.“
„Wie wäre es mit der Wahrheit gewesen?“
Überraschte blickte der junge Mann Johann an. Mit dieser Frage hatte er nun gar nicht gerechnet. Aber ihn hatten schon ganz andere Dinge in letzter Zeit verwundert.
„Manchmal ist es besser, die Wahrheit nicht auszusprechen. Doch was ist die Wahrheit? Du machst blau und bleibst der Schule fern? Du hast dich hier rein geschmuggelt? Oder du versteckst dich bei den Ägyptern?“ Der Tierpfleger sah Johann an, der seinem Blick auswich und schnell den Kopf senkte. „Was ist denn nun die Wahrheit?“
Das Kinn des blonden Jungen wurde angehoben, daß er seinem Gegenüber direkt ins Gesicht sehen mußte.
„Was wollt ihr von mir?“
„Erst einmal deinen Namen.“
Johann wußte nicht, was er tun sollte. Seinen wahren Namen nennen? Lügen und hoffen, daß der Tierpfleger von ihm ablassen und ihn gehen lassen würde? Er konnte den jungen Mann nur schwer einschätzen.
Er schalt sich selbst einen Narren. Wäre er nur in dem Beduinendorf geblieben. Hätte er seiner Neugier nur nie nachgegeben. Sein Freund hatte Recht gehabt, als er ihn zurückhalten wollte. Doch er wollte nicht mehr länger einen Ägypter spielen, gefangen sein in diesem Schaudorf.
Er wollte Masut nicht enttäuschen, deshalb spielte er das Versteckspiel weiter, doch er wollte nicht mehr. Ewig aufpassen, daß er sich nicht verrät, daß er Gesicht und Hände mit Erde oder Kohle einschmiert. Er war es Leid, wollte es nicht mehr. Und so sagte er seinen Namen, egal welches Risiko sich daraus ergab.
„Johann“, sagte er matt.
„Gut, Johann, dann sag mir, was du hier machst und wie es kommt, daß du dich im Tierpark befindest, ohne daß du eine Eintrittskarte hast. Wie kommt es, daß der Wasserträger der Glasbläser verschwunden bist, während du hier vor mir stehst?“
Johanns Augen weiteten sich vor Erstaunen. Wie konnte es sein, daß dieser junge Tierpfleger wußte, wer er war? Hatte er sich durch irgend etwas verraten?
Verstohlen warf er einen Blick auf seine Hände und konnte keinen schwarzen Fleck erkennen. Vielleicht war in seinem Gesicht etwas zu sehen, doch hatte er es nicht gewissenhaft geprüft, bevor er das Beduinendorf verließ?
„Habe ich dich ertappt? Zugegeben, ich habe es nicht darauf angelegt, dein falsches Spiel herauszufinden. Mein Auftrag war, deinen Freund zu beobachten, ob er nicht doch noch irgendwelche Krankheitssymptome zeigt. Na ja, der scheint mir vollkommen gesund zu sein, aber mit dir schien etwas nicht zustimmen. Ich wußte nie, was es war, bis ich dich vorhin ohne deine Verkleidung gesehen habe.“ Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erschien auf dem Gesicht des jungen Tierpflegers, als er daran zurückdachte, wie überrascht er gewesen war, daß sich der kleine unbeholfene Ägypter als blonder Junge entpuppte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie erstaunt ich war. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und fragte mich sogleich, wie du die medizinische Untersuchung hinter dich gebracht hast, ohne erwischt zu werden.“
„Ich habe mich versteckt.“
„Habe ich es mir doch gedacht, kluges Kerlchen. Der Doktor hätte den Schwindel sofort erkannt. Eines muß man dir lassen, du bist wirklich gewitzt.“
Johann wußte nicht, ob er dies als Kompliment verstehen sollte. Noch immer konnte er den jungen Tierpfleger nicht einschätzen. Anstatt ihn sofort zu melden, redete er mit ihm. Er fragte nicht einmal, wo er herkam. Stattdessen sprach er mit ihm, als sei er kein Dienstbote, sondern ein normaler Junge. Es war ewig her, daß Johann so zuvorkommend behandelt worden war. Damals hatte seine Mutter noch gelebt.
„Gehen wir zu deinem Freund. Auf dem Weg dorthin erzählst du mir, woher du kommst und wie es dazu kam, daß du als falscher Ägypter bei der Völkerschau gelandet bist.“
Johann verdrehte die Augen.
Das war genau das gewesen, was er eigentlich nicht tun wollte. Er wollte nicht zurück zu seiner ungeliebten Tante und deren Söhnen. Sie hatte ihn als billige Arbeitskraft verkauft. Genau das würde sie wieder tun, wenn er zu ihr zurückkehren mußte.

10. Kapitel

Hamburg-Barmbek
Der Schreck, der ihm in die Glieder gefahren war, als er die Schlagzeile in der Zeitung gesehen hatte, steckte immer noch in ihm.
Ein Mord war in der heutigen Zeit nichts besonderes. Doch dieser Mord hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Vor wenigen Wochen hatte er den Juwelier aufgesucht, damit dieser die Kette schätzte. Nun war dieser tot. Konnte das Zufall sein? Er wußte nicht, warum er einen Zusammenhang zwischen seiner Kette und dem gewaltsamen Tod des Juweliers vermutete. Aber aus genau diesem Grund war ihm Angst und Bange geworden. Schließlich wußte er nicht, ob der Mord etwas mit seinem Besuch zu tun hatte.
In dem kurzen Artikel war etwas von einem Gegenstand erwähnt worden, der zu fehlen schien, aber auf Fotografien erhalten war. Dunkel erinnerte er sich daran, daß der Juwelier mit der Kette in die hinteren Räume gegangen war. Angeblich um die Reinheit des Goldes zu überprüfen. Hätte er da nicht die Möglichkeit gehabt, die Kette zu fotografieren? Die Zeit hätte er gehabt. Nun wurde ihm einiges klar. Der Juwelier hatte den Wert des Schmuckstücks erkannt und wollte sein eigenes Geschäft machen. Deshalb war er in die hinteren Räume gegangen und hatte die Kette fotografiert. Deshalb hatte er sie auch im Geschäft behalten wollen. Hätte er die Kette da gelassen, er hätte sie sicherlich nie mehr wiedergesehen. Wie gut, daß er seinem Gefühl gefolgt war, dem Juwelier nicht zu trauen. Nun war der Juwelier tot und die Fotos mit der Kette befanden sich in den Händen der Polizei. Ihm wurde mulmig bei dem Gedanken, daß nun die Kette bekannt war. Vielleicht war sogar jemand aus dem Polizeidienst in dem Forum aktiv. Damit mußte er rechnen. Solche Foren blieben nicht lange verborgen. Sicherlich wurde es überwacht. Vielleicht hatte ihm sogar ein Polizist ein fiktives Angebot geschickt. Er mußte die beiden Gegenstände schnellstens loswerden. Sie hatten ihm von Anfang an nichts als Ärger gebracht. Den Fund hätte er gleich melden sollen, anstatt ihn mit nach Hause zu nehmen. Doch er hatte das Geld gewollt, brauchte es, denn Geld brauchte man immer. Und nun machten sie ihm nichts als Ärger.
Sein Blick fiel auf das Betttuch, das er über den Krug gestülpt hatte. In der Ecke des Zimmers störte der Krug ihn am wenigsten. Bedrohlich erschienen ihm die Umrisse, die sich unter dem Stoff hervorhoben.
Weg mußte das Zeug, raus aus seiner Wohnung, aus seinem Besitz. Egal wie viel ihm angeboten wurde, er würde das höchste Gebot nehmen und dann die Dinger abstoßen und den Zaster nehmen.
Er ging zu seinem Computer und schaltete ihn ein. Das Gebot von vorgestern, wo 2.000 Euro geboten wurden, klang viel versprechend. Also würde er dem Bieter eine positive Antwort geben. Schon als er den Internet Explorer aufrief, bemerkte er, daß das Internet sehr langsam lief. Bis die Startseite des Forums geladen war und er sich angemeldet hatte, vergingen einige Minuten. Das Postfach seines Benutzernamens enthielt noch einige neue Nachrichten, die er sich ansah und sie grob überflog bis er den Preis für ein Gebot fand. Doch keine der Nachrichten enthielt auch nur annähernd ein Gebot, daß dem entsprach, dem er den Zuschlag geben wollte.  Er schien sich im falschen Forum angemeldet zu haben. Niemand war bereit für die beiden Gegenstände viel Geld auszugeben. Vielleicht fürchteten sie, daß es sich um Schmuggelware handelte. Doch was waren denn die anderen Objekte, die dort angeboten wurden? Handelte es sich nicht um Diebesgut oder war die Herkunft der Gegenstände bloß nicht mehr nachzuvollziehen? Seine Objekte stießen nur auf geringes Interesse, damit mußte er sich abfinden. Erneut rief er die Hauptseite seines Postfaches auf, in dem Augenblick, wo er die Nachricht des Bieters anklicken wollte, der den Zuschlag erhalten sollte, kam eine neue Nachricht herein. Kurz überlegte er, ob er die Nachricht anklicken sollte, doch als er den Betreff las, wo eine 3000 stand, klickte er die Nachricht ohne zu zögern an. „Ich biete 3.000 Euro für die beiden Objekte. Falls jemand anderes mehr bieten sollte, biete ich 500 Euro mehr als dessen abgegebenes Gebot. Kommen Sie aber nicht auf die Idee das Angebot höher zu schrauben, als das Höchstgebot eigentlich ist. Ich habe Freunde, für die es kein Problem sein wird, ihre eingegangenen Nachrichten zu überprüfen, selbst wenn sie diese gelöscht haben sollten.“
Der Anbieter oder die Anbieterin – eigentlich konnte es bei der harten Formulierung keine Frau sein – mit dem Benutzernamen Putti schien genau zu wissen, was er wollte. Das gefiel ihm. Und das Gebot war in Ordnung. 3.000 Euro waren 1.000 Euro mehr als das Gebot des anderen Bietenden. So war das Leben, nur der mit dem meisten Geld kam an sein Ziel.
Er klickte mit dem Pfeil auf den Antwortknopf. Wer sich auch immer hinter dem Benutzernamen Putti verbarg, diese Person würde sich freuen.

9. Kapitel

Die Zeitung berichtete am nächsten Tag ausführlich über den Mord an dem Juwelier. Isis überflog den Artikel desinteressiert. Die Kette, die gestern noch als mögliches Diebesgut gehandelt wurde, war mit keinem Wort erwähnt worden. Waren die Ermittler zu der Überzeugung gekommen, daß daß Schmuckstück nichts mit dem Mord zu tun hatte? Es waren nur Fotografien gewesen. Vielleicht hatte sich die Kette nie in dem Besitz des Juweliers befunden. Möglicherweise hatte jemand, vielleicht die Person, die im Internet beide Gegenstände anbot, die Kette dem Juwelier zur Ansicht gegeben, um sie schätzen zu lassen. Aber warum hatte der Juwelier dann Fotos gemacht? Das ergab doch alles keinen Sinn.
Die Kette sollte geschätzt werden und der Juwelier fertigte Fotografien an. Dieses Vorgehen erschien ihr äußerst rätselhaft. Darum sollte sich die Polizei kümmern. Vielleicht könnte die das Rätsel lösen.
Isis beschäftigte im Moment vielmehr, wie hoch sie ihr Gebot setzen sollte, um wirklich den Zuschlag für die Kette und die Vase zu erhalten. Mona hatte sie gewarnt, das Gebot nicht über ihren heimischen Internetanschluß abzugeben, da es durch die IP-Adresse zurückzuverfolgen sei. Für diesen Tip war Isis dankbar, da sie an so etwas nicht gedacht hatte und gewiß die Möglichkeit bestünde, daß die Polizei eingeschaltet würde. Wenn Prof. Winter den Zuschlag nicht bekäme, würde er so handeln, Isis kannte ihn. Und wenn sich dann im Laufe der Ermittlungen herausstellte, daß sie die Gegenstände ersteigert hatte, würde sie nicht nur ihre Stelle an der Uni verlieren, die ohnehin nicht fest und nur befristet war, sondern für alle Zeiten gebrandmarkt sein. Sie mußte anonym bleiben. So konnte sie in aller Ruhe sich die beiden Objekte ansehen. Später könnte sie immer noch sagen, daß die beiden Objekte in ihren Besitz übergegangen waren, doch erst einmal mußte sie sie wissenschaftlich untersuchen. Sie mußte klären, was sie an beiden Gegenständen so faszinierte.
Stellte sich nur noch die Frage, wie viel sie bieten mußte, um den Zuschlag zu erhalten. Sie hatte ihre Ersparnisse gezählt, die sie im Bankschließfach aufbewahrte. Knapp siebentausend Euro waren es. Geld, das sie sich einmal im Jahr ansah, etwas dazulegte und dann wieder zurücklegte. Falls sie unerwartet sterben sollte, würde das Finanzamt sich freuen. Kleinvieh machte auch Mist. Das Geld war für Notfälle gedacht. Anfangs hatte sie es auf einen Laptop gespart. Nachdem sie einen tragbaren Computer geschenkt bekommen hatte, auf eine Reise und schließlich auf ein Auto. So war der Geldbetrag langsam aber stetig angewachsen. Kein Vermögen, das sie angehäuft hatte. Das wirkliche Vermögen, das Erbe ihres Großvaters, befand sich in einer großen Truhe. Kein Geld oder Schmuck, sondern jede Menge Tagebücher.
Im Augenblick war Isis gerade dabei die Tagebücher chronologisch zu ordnen. Die Arbeit war recht simpel, im Vergleich zu dem, was ihr noch bevorstand: Die Inhalte der Tagebücher zu lesen. Altdeutsche Schrift, Sütterlin, so hatte man teilweise noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben, doch seitdem benutzte man die Schrift, mit der Isis aufgewachsen war. Die lateinische Schrift, die sich aus dem griechischen Alphabet entwickelt hatte. Nur die gedruckte Frakturschrift konnte Isis noch lesen und natürlich die Hieroglyphen. Und wenn sie es recht bedachte, dann war die altdeutsche Schrift nichts anderes als das hieratische. Die Schreibschrift der Hieroglyphen. Auch nicht leicht zu lesen, doch mit einiger Übung war dies kein Problem. Karla hatte Recht, wenn sie sagte, die altdeutsche Schrift bestehe nur aus Linien. Mehrere Male hatte Isis bereits versucht die Einträge zu lesen, doch gelang es ihr nur in einzelnen Passagen. Sie mußte ihre Großmutter um Hilfe bitten, die Texte für sie zu transkribieren.
Über sechstausend Euro hatte sie beiseite gelegt. Viel Geld für Isis und noch viel mehr für Karla oder Mona. Und dieses kleine Vermögen wollte die junge Ägyptologin nicht ganz ausgeben. Für etwas, von dem sie nicht wußte, ob es überhaupt etwas wert war. Wenn sie es recht bedachte, wollte sie für die Gegenstände gar kein Geld ausgeben, nicht einen Cent. Sie hing an jedem einzelnen Euro. Nicht das sie geizig war, aber sie überlegte so lange das Für und Wider einen gewissen Geldbetrag auszugeben, bis es das Angebot nicht mehr gab.
Etwa 3500 Euro konnte sie erübrigen, für eine Weile. Sie konnte nur hoffen, daß der Betrag ausreichen würde, damit sie den Zuschlag erhielte.
Am Nachmittag wollte sie einen öffentlichen Internet-Terminal aufsuchen, eine neue Email-Adresse einrichten und dann ihr Gebot abschicken, nachdem sie sich bei dem Forum angemeldet hatte. Zwar hatte sie sich bereits mit einer ihrer vielen anderen Email-Adressen bereits bei dem Forum angemeldet, doch den bereits eingerichteten Account wollte sie wieder löschen, um einen neuen Benutzernamen einzurichten. Niemand sollte die Spur zu ihr zurückverfolgen können. Karla ging bei so etwas weit nachlässiger um, stellte sogar Fotos von sich ins Internet. Mona fing damit auch an, zwar nur in StudiVZ und nur ihre virtuellen Freunde konnten diese Bilder sehen, doch selbst das hielt Isis für höchst gefährlich.
Einmal hatte Karla ungefragt Bilder von sich und anderen ins Internet auf ihre Blogseite gestellt, ohne sich dabei was zu denken, ob jedem der Abgebildeten dies auch recht war. Und so hatte einer ihrer Freunde ihr sogar einen Prozeß angedroht, wenn sie nicht augenblicklich die Bilder zu entfernen gedachte, wo er drauf abgebildet war. Gernervt hatte sie die ganze Seite geschlossen, doch irgendwo im virtuellen Netz war diese Seite bereits für Jahre gespeichert worden. Nichts ging im Internet verloren, auch wenn man es von seiner eigenen Seite entfernte und löschte. Irgendwo war es noch. Isis war sich dieser Gefahr bewußt und hatte ihren Freundinnen schon vor Jahren eingeschärft, keine Bilder online zu stellen, wo sie drauf abgebildet war, nicht einmal in einen paßwortgeschützten Bereich. Bis jetzt hielten sich alle daran. Und da meist Isis die Fotos machte, war sie kaum auf einem Bild zu sehen, außer sie machte in Selbstporträt, was höchst selten vor kam.
Jeder Nutzer hinterließ Spuren im Internet und die versuchte Isis, so gut sie konnte, zu verwischen. Sie nutzte ihre Email-Adresse mit den Initialen ihres vollständigen Namens nur bei geschäftlichen und offiziellen Anlässen. Von der Universität hatte sie ebenfalls eine bekommen. Sie war frei im Netz verfügbar und stand auch am Ende des Vorlesungsverzeichnisses. Für Studenten und Professor Winter war sie auf diesem Weg erreichbar. Täglich mußte sie diesen ungeliebten Account öffnen und die blödesten Fragen von Studenten beantworten. Sogar von Mr. Filly war ganz zu Beginn ihrer Arbeit eine Mail in ihrem virtuellen Postfach gewesen. Ungelesen hatte sie diese gelöscht und seitdem nie mehr etwas von ihm gehört. Inzwischen hatte sie es sich sogar zu Eigen gemacht, nur noch die Emails von Professor Winter zu lesen und die der Studenten nur alle paar Tage. So wichtig waren die nun auch wieder nicht. Weder ihre Privat- noch ihre berufliche Email-Adresse gab sie weiter. Denn Isis hatte eine Menge anderer Email-Adressen, die sie häufig nutzte. Ein Spuren-Verwischungs-Programm nutzte sie nicht, obwohl sie immer überlegte, ob sie nicht doch eines installieren sollte. Aber ihr erschienen diese Programme suspekt und sie vertraute ihnen nicht, auch wenn sie mit ihnen anonym im Internet ihre Angelegenheiten erledigen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber irgendwie würde sie auch mit den Programmen Spuren hinterlassen, dessen war sie sich sicher.
Bis zum Nachmittag mußte sie noch warten. Sie konnte nur hoffen, daß der Anbieter der beiden Objekte nicht bereits einen Zuschlag ausgesprochen hatte. Dann wäre sie zu spät gekommen und die beiden Gegenstände würden irgendwo für immer verschwinden und sie hätte keine Möglichkeit mehr sie zu untersuchen.
Und das war ihr so wichtig. Irgend etwas sagte der jungen Ägyptologin, das der Krug ein Geheimnis barg, daß den Lauf der Geschichte deutlich beeinflussen würde.

8. Kapitel

Hamburg-Stellingen
Isis saß im Wohnzimmer, den Laptop vor sich und haute mit den Fingern auf die Tastatur ein, als habe die Anschlagsquote eine neue Bedeutung bekommen. Links und rechts neben ihr stapelten sich kleine dünne Heftchen, denen sie momentan keine Beachtung schenkte. Ihr Blick war starr auf den Bildschirm gerichtet. Ihr Gesicht zeigte nur eine Regung, wenn ihre Suche wieder erfolglos gewesen war.
Eine junge Frau, im gleichen Alter wie Isis, war in den Raum getreten und sah kopfschüttelnd zu ihrer Freundin. Scherzhaft hielt sie sich die Ohren zu, als Isis für einen kurzen Augenblick aufsah. Sie wollte mit dieser Geste verdeutlichen,  wie laut Isis war. Doch ihre Freundin sah sie nicht.
„Warum malträtierst du deine Tastatur? Die kann doch nichts dafür, wenn die Suchmaschine nicht das ausspuckt, was du suchst. Oder brauchst du einen neuen Laptop? Dafür mußt du deinen eigenen aber nicht zerstören, um an dein Ziel zu kommen.“
„Wozu ist denn eine Suchmaschine sonst da?“ Isis hatte ihrer Freundin nur halb zugehört.
„Um dir Webseiten zu einem Thema anzuzeigen, daß du eingegeben hast. Aber wenn die Eingabe deiner Schlagwörter zu unpräzise war, bekommst du nur Schrott angezeigt. Mach mal Pause, vielleicht kommt dir dann der rettende Einfall.“
„Halt die Klappe, Karla!“, wütend tippte Isis eine neue Kombination ein, doch wieder kam nicht das, was sie sich erhofft hatte. Als sie drei Seiten der Suchergebnisse durchgegangen war, haute sie wütend den Bildschirm auf die Tastatur und der Laptop ging automatisch in den Ruhezustand über.
„Wenn du deinen Laptop unbedingt zerstören möchtest, mußt du weitermachen. Du standest kurz vor dem Abschluß.“
„Entscheide dich! Erst soll ich eine Pause machen, dann meinen Laptop zerstören.“
„Du machst doch auch sonst nicht das, was ich dir rate.“
Isis sah zu Karla, die sich in Isis heiligen Fernsehsessel setzte, nachdem sie den Fernseher angemacht hatte. Das dritte Programm zeigte Regionalnachrichten.
„… der Mord an einem Juwelier bleibt weiterhin mysteriös. Gestohlen wurde weder Schmuck noch Bargeld. Es wird vermutet, daß die Tat von einem Unbekannten begangen wurde, der den Juwelier überfallen wollte. Doch als die Situation eskalierte, wurde der Juwelier erschossen und der Täter floh ohne Beute.“
Isis sah zum Bildschirm, als ihr auf einmal etwas ins Auge fiel, was ihre Aufmerksamkeit erregte.
„Standbild“, rief sie eilig, doch das Bild lief weiter. „Karla, was machst du denn da?“
Sie lief zu Karla und riß ihr die Fernbedienung aus der Hand, doch als sie den Knopf für ein Standbild gedrückt hatte und zum Bildschirm sah, hatte das Bild bereits gewechselt. Das Standbild zeigte den Moderator der Sendung. Wütend warf sie Karla die Fernbedienung zu.
„Du weißt doch, daß ich mit dieser Fernbedienung nicht zurechtkomme. Die bleibt mir suspekt“, entschuldigte sich Karla.
„So wie Mona, die neue Spülmaschine. Ihr könnt euch wirklich zusammen tun.“
„Mona ist nur faul.“
„Und du bist schwer von Begriff. Das war mir wichtig dieses Standbild. Aber wegen deiner Unfähigkeit habe ich es verpaßt.“
Erbost erhob sich Karla und funkelte Isis mit glühenden Augen an.
„Ich bin nicht von zu Hause zu dir gezogen, um mir diese Worte anhören zu müssen. Bevor du weiter so etwas sagst, solltest du lieber mal darüber nachdenken, wie du dich eigentlich uns gegenüber benimmst.“ Karla legte die Fernbedienung auf den Tisch, dann hielt sie inne. Ihre Wut war wieder verraucht. „Wenn du Glück hast, gibt es die Sendung in der Mediathek oder du wartest auf die Nachrichten um vier. Da läuft noch mal exakt das Gleiche wie eben.“
„Das will ich für dich hoffen.“
Isis konnte die Sticheleien nicht lassen. Immer wußte sie alles besser, ließ keine andere Meinung gelten als ihre und beleidigte ihre Freundinnen unentwegt. Wie oft hatten Karla und Mona es ihr schon heimgezahlt, doch Isis stichelte weiter. Nicht einmal die Drohung, Mona und Karla würden ausziehen, ließ sie einen Gang zurückschalten.
„Was willst du eigentlich mit diesen ganzen Schmierheftchen? Damit wirst du deine Doktorarbeit niemals schreiben können.“
Mit der Hand haute Isis Karla auf die Finger, als diese ein Heft hochnehmen wollte.
„Nicht mit deinen ungewaschenen Patschehändchen anfassen. Dafür gibt es Handschuhe. Ihr Chemiker tragt doch auch Handschuhe, wenn ihr experimentiert.“
„Selten, kommt auf den Versuch an. Wirst du auch nie lernen: Es heißt Versuch und nicht Experiment. Bei einem Experiment weiß man nicht, wie es ausgeht, bei einem Versuch ist das Ergebnis bereits bekannt. Natürlich nicht uns Studenten, sondern den Versuchsleitern.“
„Schon klar, aber diese Schmierheftchen, wie du sie nennst, sind beinahe 100 Jahre alt. Also nur mit Handschuhen anfassen. Ist das klar?“
„Wie immer!“ Isis konnte viel reden, wenn sie wollte. Ob sich jeder daran hielt, war eine andere Sache. Das mußte auch Isis wissen, denn mißtrauisch sah sie Karla an. Dann ging ihr Blick zu einer großen Schublade mit Schloß.
„Also schließe ich sie lieber weg. Ich will nicht noch Essensreste darauf wiederfinden. Oder noch schlimmer: Die Hefte sind von Cola oder sonst irgendeinem Klebezeug durchtränkt.“
Karla machte ein empörtes Gesicht. Das war eindeutig gegen sie gemeint.
„Für was hältst du mich?“
„Für ein pizzafressendes Wesen.“
„Vielen Dank, nun weiß ich endlich, was du über mich denkst. Das kann ich gleich in meinen Blog schreiben. Meine Freundin hält mich für einen Allesfresser, der die Wohnung vermüllt.“
„So lange du meinen Namen nicht erwähnst und ein Foto von mir ins Netz stellst, kannst du erzählen, was du willst. Nur mein eigenes Privatleben bleibt tabu.“
„Ich weiß, was du vom Web 2.0 hältst. Wir leben nicht im Mittelalter. Aber ich werde dich schon nicht erwähnen, da brauchst du keine Angst zu haben.“ Karlas Blick fiel auf die Namenszeile des zu oberst liegenden Heftchens. „Pascal Justine.“ Sie sprach den Nachnamen so aus, wie er auf der Heftzeile stand. Ein ziemlich moderner Vorname für die damalige Zeit.
„Jüstin“, sagte Isis und sprach den Namen mit weichem ‚j‘ französisch aus. „Und der Name tauchte in Frankreich schon Jahrzehnte früher auf als in Deutschland. In meiner Familie bekamen die männlichen Familienmitglieder französische Vornamen, um auf die französischen Wurzeln zu verweisen.“
„Justine? Aber du heißt doch Just, wie können deine Vorfahren dann Justine heißen?“ Karla verstand mal wieder überhaupt nichts. Zwar hatte sie sich immer gewundert, warum Isis‘ eigentlicher Vorname Mélanie immer ein Accenté Gue auf dem ersten ‚e‘ hatte, doch war es ihr so nebensächlich erschienen, da Isis diesen Namen nicht mochte und nur von ihren Eltern und den Lehrern so genannt wurde. Nach dem Abitur waren jetzt ihre Eltern die einzigen, die sie noch bei dem Namen nannten.
„Mein Großvater hat den Namen während der Dreißiger Jahre geändert, weil er Probleme fürchtete. Im Dritten Reich erschien ein französischer Name suspekt. Und um keine Probleme zu bekommen, hat er ihn in Just abgekürzt. Er hatte es nicht gewollt, da er den Namen seiner Mutter in Ehren hatte halten wollen. Doch indirekt ist er dazu gezwungen worden. „Mit dem Feind mache man keine Geschäfte“, hatte es geheißen. Noch kurz vor seinem Tod grämte er sich, daß er das getan hatte. Aber es ließ sich nicht mehr rückgängig machen.“
„Deutschland, deine Ämter. Ein Kampf, der nie enden wird.“
„Das erinnert mich mal wieder an die Uni. Das ist auch ein einziger Kampf.“
„So lange wir nicht in die Wallachei ziehen, können die sich die Köpfe einschlagen.“
„Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. In der Zeit solltest du dein Studium längst beendet haben. Oder willst du die letzte Diplom-Studentin werden? Der letzte Mohikaner sozusagen?“
„Ewig studieren ist nicht gut. Ich bin schon jetzt völlig verplant. So verlehrt wie ich jetzt bereits bin, sollte ich schnellstmöglich das Studium abschließen.“
„Es wundert mich immer wieder, daß du nicht nur in Formeln sprichst, wie Mona. Vor lauter Physik weiß man doch schon gar nicht mehr, was sie uns eigentlich sagen will.“
„Das weiß man bei dir auch nicht. Und du benutzt keine naturwissenschaftlichen Formeln.“
„Danke, du bist wieder so nett wie immer.“
Mit einem Stift öffnete Karla das zu oberst liegende Heft. Voller Vorfreude hatte sie es geöffnet, wie enttäuscht war sie, als sie die Schrift sah. Ein unleserliches Gekrakel. Sauber und ordentlich geführt, doch vollkommen unleserlich.
„Das kann man doch nicht lesen.“
Amüsiert verzog Isis ihren Mund.
„Ach, ich dachte, du könntest sämtliche Schriften entziffern. Hast du dich nicht immer in der Schule damit gerühmt?“
„Aber nicht diese Linien. Kann doch kein Mensch lesen.“
„Das ist die deutsche Schrift. So hat man damals vor knapp hundert Jahren geschrieben.“
„Und du kannst das lesen?“
„Es geht. Anfangs war es für mich auch nur ein Gekrakel aus Linien. Je länger ich mich damit befasse, desto vertrauter wird es. Aber meine Großmutter kann es besser lesen. Sie hat die Schrift in der Schule gelernt. Im Gegensatz zu uns.“
„Schön, wenn man Großeltern hat.“
„Wenn sie noch leben.“
Isis‘ Stimme war hart geworden, Trauer mischte sich darunter.
„Tut mir leid, ich habe deinen Großvater vergessen.“
Durch ein Nicken registrierte Isis die Entschuldigung, vertiefte sich aber sogleich auf ihre Internetsuche. Sie hatte den Laptop wieder angemacht. Doch wieder fand sie nichts. Wütend trommelte sie mit den Fingern auf die Tischplatte.
„Das muß ja was ungemein Wichtiges sein, wenn du so bei jedem Fehlversuch reagierst. Aber wenigstens läßt du deine Wut nicht mehr an deinem Laptop aus.“
Interessiert beugte sich Karla über Isis‘ Schulter und warf einen Blick auf den Bildschirm.
„Probier’s doch mal mit einer anderen Suchmaschine. So toll ist die Königin der Suchmaschinen nicht. Was suchst du eigentlich?“
„Eine alte Tonvase mit einer Kette. Irgendwo im Internet sollen die in einem Forum angeboten werden. Aber ich weiß nicht wo. Und diese blöde Suchmaschine sagt es mir nicht. Es ist zum Verzweifeln!“
„Du willst das haben oder wie verstehe ich das?“
„Exakt.“
Wieder tippte Isis etwas in das Suchfenster ein. Doch dieses Mal hatte sie die Bildersuche benutzt. Die ersten Bilder waren nicht das, was Isis suchte. Doch das zweite Bild in der letzten Reihe kam ihr bekannt vor.
„Jawohl!“, freute sie sich und klickte das Bild an. Schnell machte sich Enttäuschung breit, als sie nicht zum Beitrag weitergeleitet wurde, sondern eine Mitteilung auf dem Bildschirm erschien, daß sie kein Mitglied des Forum sei und diesen Beitrag nur sehen könne, wenn sie sich angemeldet habe.
„Da wirst du dich anmelden müssen.“
„Was du nicht sagst. Ich weiß schon gar nicht mehr in wie vielen Foren ich eigentlich angemeldet bin. Die meisten habe ich schon seit Jahren nicht mehr besucht. Weiß gar nicht, ob ich da überhaupt noch Mitglied bin.“
„Wohl eher nicht. Manchmal schicken sie dir auch Erinnerungsmails.“
„Egal, also werde ich mich erst einmal anmelden. Und du erinnerst mich um vier an die Lokalnachrichten.“
„Stell dir den Wecker.“
Doch Isis hörte sie schon gar nicht mehr. Völlig vertieft in ihre Anmeldung und mit den Gedanken bei den beiden Objekten, nahm sie nichts mehr um sich herum wahr. Wenn sie Glück hatte, würde sie schon bald stolze Besitzerin der Objekte sein. Dann konnte sie die Vase und die Kette besser untersuchen und vielleicht auch das Geheimnis klären, warum sie die Vase bereits einmal gesehen glaubte. Die Regierungszeit Echnatons war ihr vertraut, die typischen Darstellungen aus der Amarna-Zeit konnte sie sofort erkennen. Doch die Vase, obwohl sie Züge der Amarna-Zeit trug, war ihr unbekannt und dennoch vertraut.

7. Kapitel

Hamburg-Barmbek
Er klickte auf das Symbol seines Browsers im Startmenü. Die Startseite des Forums erschien und er loggte sich mit seinem Benutzernamen ein. Der Bildschirm veränderte sich. Nun konnte er das Unterforum aufrufen, in dem er seine beiden Objekte zum Kauf anbot. Als er auf die Spalte sah, wo die Anzahl der Aufrufe der Seite stand, nickte er zufrieden. Die mehrstellige Zahl erfreute ihn. Er rief die Seite nicht auf, es waren keine Antworten seit erstellen des Themas geschrieben worden. Die Angebote sollten als persönliche Nachricht an ihn geschickt werden. So klickte er nun auf den aufleuchtenden Briefkasten. Die Anzahl der Nahrichten enttäuschte ihn dann doch, es waren weit weniger, als die Anzahl, die sein Angebot angesehen hatten. Erwartet hatte er nicht, daß alle, die sein Thema aufrufen würden, auch ein Gebot abgegeben hatten. Doch mit einigen Geboten mehr, hatte er dann doch gerechnet. Vielleicht würde es noch besser werden. Damit rechnete er allerdings nicht. Zu suspekt erschien den meisten sein Angebot. Es war zu erwarten gewesen.
Er klickte die erste Nachricht an und begann lauthals zu lachen.
„Zehn Euro? Vergiß es! Für zehn Euro nehme ich doch nicht dieses Risiko auf mich. Da bekommt man nicht einmal eine billige Kopie.“
Die nächsten Nachrichten enthielten nur Fragen, wo er die Objekte her habe, ob sie bereits in einem Buch publiziert worden waren, er versichern könne, daß es sich um keine Fälschungen handle oder ob er die Stücke auch einzeln verkaufe. Sicherlich würde er sie auch einzeln verkaufen, nur glaubte er nicht, daß er den Krug ohne die Kette verkaufen könnte. Wer wollte sich schon so ein Monstrum in seine Wohnung stellen? Diesen Staubfänger wurde er nur los, wenn er ihn zusammen mit der Kette anbot.
Er sah sich die nächste Nachricht an und sein Gesicht erhellte sich ein wenig. Sie enthielt ein Gebot über 1500 Euro. Wieder wurden seine Erwartungen nicht erfüllt. Schienen die beiden Objekte niemandem etwas wert zu sein? Hunderttausende hatte er nicht erwartet, aber nur 1500 Euro? Da sollte er die Zeit noch ein wenig verstreichen lassen und auf ein besseres Gebot hoffen. Dieses Gebot erschien ihm zu gering für das Risiko, das er mit dem Verkauf der beiden Objekte einging. Es mußte sich doch für ihn lohnen.
Er loggte sich aus, beendete daß Browser-Programm und schaltete den Computer aus. Er mußte zur Arbeit. Die letzten Reste des Schutts mußten verladen werden. Eine Arbeit, die er nicht mehr sehen konnte.

4. Kapitel

Hamburg-Hafen, 1912
Das Schiff hatte im Hafen der Segelschiffe angelegt und war mit gekonnten Griffen vertäut worden. Gleich darauf waren Masut und seine Begleiter mit harschen Worten aufgefordert worden sich bereit zu machen, das Schiff zu verlassen.
Johann stand neben Masut, sein Gesicht, seine Hände und seine Beine waren mit nassem Kohlenstaub eingerieben worden. Seine blonden Haare waren unter einem Tuch verborgen, sie hatten sich nicht färben lassen können. Auf den ersten Blick wirkte er wie einer von ihnen. Wie ein Ägypter. Dennoch hielt sich Johann nahe bei Masut auf, der ihn in die Mitte der Gruppe schob, damit er unauffällig in der Masse verschwand. Zuvor hatte er ihm eingebläut, niemanden direkt anzusehen, damit seine blauen Augen nicht auffielen.
Die Luke wurde geöffnet und grelles Licht drang in den Laderaum. Die Ägypter schlossen die Augen und öffneten sie nur langsam.
„Raus mit euch!“, forderte eine Stimme die Gruppe auf.
Einen Fuß vor den anderen setzend stiegen die Ägypter die Stufen hinauf bis sie sich auf dem Deck des Segelschiffes befanden.
Masut hatte die Person wiedererkannt, der ihn und die anderen angeworben hatte. Er schien ein freundlicher Mann zu sein. Als er in ihr Dorf gekommen war, hatte er niemanden gezwungen mitzukommen. Ausführlich hatte er geschildert, was einen in der fernen Welt erwarten würde.
Nie wurde jemand gedrängt, das er bei diesem Unternehmen, das einem Abenteuer glich, mitmachen sollte. Doch es waren auch Ablehnungen ausgesprochen worden, vor allem gegen die, die nur das Geld im Kopf gehabt hatten. Natürlich hatte es verlockend geklungen, auf dieser Reise auch etwas zu verdienen. Doch war es das Geld wirklich wert, vor allem bei den Risiken, die diese Reise barg? Für Masut hatte es keine Sekunde des Zögerns gegeben. Zuhause konnte er auch sterben, der Fluch, der auf seiner Familie lastete, würde ihn eines Tages genauso treffen, wie seinen Bruder, seinen Vater und seine Vorfahren. Wenn er in der Fremde starb, sollte es so sein, aber er hätte die Gegenstände des Unglücks außer Landes, fern von seiner Familie, gebracht.
„Wir werden sie nach Stellingen bringen. Der Arzt ist verhindert, um sie sich noch zuvor anzusehen“, sagte der Mann, der soeben das Schiff betreten hatte und auf den Anwerber zugegangen war.
„Gut, hoffen wir, daß alle gesund sind.“ Anzeichen dafür hatte es auf der Rese keine gegeben, allerdings mußte das noch lange nichts heißen. Nach der ärztlichen Untersuchung würden sie mehr wissen. Aber er hatte ein gutes Gefühl.
Der eben eingetroffene machte ein Zeichen und die Gruppe Ägypter wurde vom Schiff auf mehrere Lastenwagen getrieben.
„Wie viele sind es?“
Der Anwerber holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Jacke. Es war dicht beschrieben, doch am Ende waren einige Ziffern unterstrichen.
„59 Männer, 13 Frauen und 18 Kinder. Nicht zu vergessen die acht Derwische.“
„Daraus läßt sich etwas machen. Bei den zwei Eskimos sind die Besucher doch recht enttäuscht gewesen. Die Anzeigen in den Zeitungen hatten mehr versprochen als eigentlich geboten wurde.“
„Ja, so was kann vorkommen. Nicht jeder will sich ins Ungewisse aufmachen, da kann man so sehr zureden wie man möchte, doch man kann niemanden zwingen.“
„Würde auch nur Ärger bringen.“
Die beiden Männer verabschiedeten sich vom Kapitän und verließen das Schiff. Der Kapitän sah ihnen kurz hinterher. Als die Gruppe Ägypter sich in Zweierreihen formiert hatte und der Zug sich schließlich in Bewegung setzte, wendete er sich ab.
„Habt ihr Johann gesehen?“, wollte er von zwei Matrosen wissen.
„Den Zwerg? Nee, seit gestern nich'“, sagte einer der beiden im breitesten hamburgisch.
„Dann sucht ihn. Ich habe mit ihm zu reden.“
„Was hat er denn ausgefressen?“, wollte der andere wissen.
„Nichts. Holt ihn mir einfach her.“
Mit ungutem Gefühl ging der Kapitän in seine Kajüte. Viel zu lange hatte er seinen Schiffjungen vernachlässigt, ihn von den Matrosen demütigen lassen. War nicht eingeschritten, wenn er Arbeiten erledigen sollte, für die er in seinem Alter noch gar nicht die Kraft besaß. Von Anfang an war ihm aufgefallen, daß dem Jungen die Arbeit nicht gefiel, dennoch hatte er begierig alles aufgesogen, was er erfahren konnte.
De Entscheiduhg, die er sich überlegt hatte, war gut durchdacht. Der Kapitän wollte ihn wieder zur Schule schicken, dann vielleicht auf die höhere Handelsschule. Möglicherweise würde er ihn adoptieren. Johannes Eltern waren tot und die Tante hatte ihn wie ein Stück Vieh verkauft.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Jemand hatte an seine Kajütentür geklopft und war eingetreten.
„Der Junge ist weg! Wir haben alles abgesucht. Er ist verschwunden.“
„Danke, kannst gehen“, sagte der Kapitän matt. Resigniert starrte er auf den Michel, die Kirche St. Michaelis, das Wahrzeichen Hamburgs, das nach einem Brand wieder aufgebaut worden war und in wenigen Monaten feierlich wiedereröffnet werden sollte. Er hatte zu lange gezögert, hätte Johann schon früher in seine Pläne einweihen müssen. Nun war es zu spät. Er wußte, Johann würde er nie wiedersehen.

3. Kapitel

Er hatte Recht behalten, der Juwelier hatte ein falsches Spiel mit ihm spielen wollen. Die Kette war weit mehr wert, als dieser ihm gesagt hatte. Ein kleines Vermögen, das sich gut anlegen ließe, wenn er daß Schmuckstück an den Meistbietenden verkaufte. Ob es sich nun um Elektrum oder reines Gold handelte, war völlig unerheblich. Die Kette war alt, sehr alt. Damit ließe sich Geld machen.
Doch warum war er angelogen worden? Warum hatte der Juwelier versucht ihn übers Ohr zu hauen? Wollte dieser ihn über den Tisch ziehen, um selbst das Geschäft seines Lebens zu machen? Möglich wäre es und je länger er darüber nachdachte, desto mehr war er davon überzeugt, das dem so war. Warum hatte der Juwelier ihn betrügen wollen? Die Kette bestand nur aus dieser Gold-Silber-Mischung, Elektrum genannt, und diesen platten Steinen, die nicht viel Wert zu sein schienen. Weder ein Diamant noch ein Rubin waren in das Amulett eingefaßt und doch schien sie für den Juwelier so wertvoll, daß er sie gleich hatte behalten wollen. Dabei mußte er doch solche Schmuckstücke zuhauf angeboten bekommen. Nicht dem Aussehen nach, sondern nach dem Goldgehalt. Seit dem Anstieg des Goldpreises wurden viele Erbstücke verkauft, sogar Zahngold. Was war nur das Besondere an dieser Kette? Waren es die ägyptischen Hieroglyphen? Die kunstvolle Verarbeitung der Kette? Oder das Elektrum anstelle von Gold verarbeitet worden war? Er würde es nie erfahren, außer er suchte den Juwelier noch einmal auf. Ein Vorhaben, das er sicherlich nicht tun würde. Dafür war der Juwelier ihm zu suspekt gewesen. Schon als er ihn aufgesucht hatte, um die Kette schätzen zu lassen, hatte dieser das Schmuckstück behalten wollen. Was er auch immer damit bezweckte, ihm war es verdächtig vorgekommen und gegangen.
Jetzt saß er wieder in seiner Küche, die Kette auf dem Tisch, der Tonkrug stand daneben. Was sollte er nur mit den beiden Gegenständen anfangen? Sie jemandem öffentlich anzubieten schien unmöglich, ihm würden bei einer Übergabe Fragen gestellt werden. Zu viele Fragen, unangenehme Fragen. Fragen, die er nicht beantworten wollte. Wer würde ihm glauben, daß er es gefunden hatte? Wenn bekannt wurde, wo er die Gegenstände gefunden hatte, würde es ihn garantiert den Job kosten und den brauchte er.
Ein fanatischer Sammler, das wäre, was er brauchte. Jemand, der nicht viele Fragen stellte, sondern stattdessen sein Scheckbuch zückte. So jemanden müßte er finden. Vielleicht stellte er die Kette erst einmal ins Internet. Den Tonkrug würde er dann auch noch loswerden. Vielleicht sollte er diesen als Zugabe mit anbieten.
Sein Blick fiel auf den Tonkrug, der nicht schwer schien und doch schwerer war, als er vermutet hatte. Ihm stellte sich abermals die Frage: Was war eigentlich in dem Krug?  Der Klang war dumpf, wenn man ihn anschlug. Was mochte da drin sein? Zu hören war nichts, wenn er den Tonkrug schüttelte. Und doch war der Krug mit irgend etwas gefüllt. Befand sich Stoff im Tonkrug oder Sand, der in einen Sack eingenäht worden war? Es würde das hohe Gewicht erklären. Er wußte es nicht. Sah nur diesen Krug, aber nicht seinen Inhalt. Vielleicht enthielt er Gold. Seine Augen begannen zu leuchten. Mehrere schwere Goldbarren und er hätte ausgesorgt. Aber bevor der Gedanke sich in seinem Kopf festgesetzt hatte, resignierte er. Die Öffnung war für einen Goldbarren viel zu schmal. Das kostbare Edelmetall befand sich nicht darin und Schmuck sicherlich auch nicht. Wahrscheinlich war es wirklich nur Sand. Doch dann wäre der Krug sicherlich schwerer. Nein, im Inneren mußte sich etwas anderes befinden.
Er sah sich die Öffnung des Kruges an, die mit einer Wachsschicht verschlossen war. Die Schicht war dünn, sah zerbrechlich aus, doch wenn er auf das Wachs drückte, um es zu zerbrechen, hielt es stand. Bei genauerem Betrachten mußte sich unter dem sichtbaren Wachs noch eine andere Schicht befinden, die dafür sorgte, daß das Wachs jeglichem Druck standhielt.
Um an den Inhalt zu gelangen, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als die Unbekannte Schicht zu zerstören, oder, wenn ihm nichts anderes einfiel, den Tonkrug in tausend Scherben zu schmeißen. Doch es tat ihm um das Motiv leid, das er dafür zerstören würde. Nicht, daß es ihm etwas bedeuten würde, aber vielleicht gefiel es jemandem. Daraus ließe sich garantiert Kapital schlagen.
Geld – immer dachte er nur an das verdammte Geld. Immer wollte man das haben, was einem fehlte, wo man der Meinung war, daß man nicht genug davon hätte. Und wo konnte man das meiste Geld verdienen? Internetversteigerungen brachten nicht viel ein, wie er aus eigener Erfahrung wußte. Doch irgendwo im weltumspannten Netz der Computernutzer gab es ein paar Foren, wo solche Dinge, die er gefunden hatte, für teures Geld verkauft werden. Solch ein Forum mußte er nur finden. Oder sollte er es doch einem Museum anbieten? Sein schlechtes Gewissen plagte ihn wieder. In einer musealen Sammlung würden sich die Gegenstände gut machen, doch wie sollte er erklären, wie er in den Besitz der Kette und des Kruges gekommen war? Für einen Dieb würde man ihn halten, ihn bestrafen und verurteilen. Ins Gefängnis würde er wandern, weil er einen Diebstahl begangen hatte. Dabei hatte er seinen Fund nur nicht gemeldet, sondern mit nach Hause genommen. Das war auch strafbar, aber noch lange kein Diebstahl. Er war kein Dieb, sondern wollte auch einmal ein Stück vom Glück abhaben. Einem Museum würde er seinen Fund nicht übergeben. Er wollte sein Leben in Freiheit verbringen.

2. Kapitel

Hamburg-Barmbek, April 2009
Der Krug hatte den Transport in seine Wohnung heil überstanden und stand nun auf seinem Küchentisch. Er war aus Ton und schien alt zu sein. Die Schriftzeichen hatte er früher einmal irgendwo gesehen. Im Fernsehen, als er durch die Programme gezappt hatte. Die Griechen oder Ägypter – irgendein altes Volk halt – hatten diese Schrift benutzt. Eine Ahnung hatte er davon nicht. Geschichte war ihm immer fremd gewesen, wie die ganze Schule, durch die er sich gequält hatte. Dabei war er nicht dumm gewesen, er war nur einfach nicht mit dem Unterrichtsstil der Lehrer zurechtgekommen.
In seinem Leben hatte er nie viel Glück gehabt und manchen Schicksalsschlag erlitten. Doch er hatte sich nie unterkriegen lassen. Nun, nach etlichen Jahren des Niedergangs, schien ihm das Glück hold zu sein. Dieser Krug war alt, schien nicht wertvoll zu sein. Doch die Kette war aus purem Gold. Bei dem jetzigen Goldpreis würde er ein hübsches Sümmchen dafür bekommen. Möglicherweise waren auch die kleinen Perlen etwas wert. Er konnte die Kette im Internet anbieten, doch vorher würde er sie schätzen lassen. Wenn er an die Adresse eines verrückten Kunst-Sammlers kommen könnte, würde er womöglich ein kleines Vermögen für dieses Goldkettchen bekommen.
Es stellte sich nur die Frage, wo er diese Gegenstände verstecken sollte. Vor allem dieser sperrige Krug stellte ihn vor ein Problem. Er würde noch den passenden Ort dafür finden. Als erstes würde er erst einmal die Kette schätzen lassen, dann würde er weitersehen.
Bereits am nächsten Tag machte er sich nach der Arbeit auf den Weg zu einem Juwelier. Dieser sah sich die Kette an.
„Ein schönes Stück. Woher haben Sie die Kette, wenn ich fragen darf?“
Für solch eine Frage hatte er sich eine Geschichte ausgedacht, die plausibel schien und keine weiteren Fragen aufwarf. Denn mit so einer Frage mußte er rechnen. Diebesgut wurde überall angeboten und gerade bei diesem Stück mußte man annehmen, daß es sich um Diebesgut handelte. Ein altes Erbstück sollte es sein, gefertigt zu einer Zeit, als das alte Ägypten eine Renaissance unter der Bevölkerung erlebte. Er mochte keine Ahnung von Geschichte haben, aber er wußte, wo er sich informieren mußte, um das nötige Wissen zu erhalten. In Zeiten des Internets war alles möglich.
„Geerbt, das Stück befindet sich seit langer Zeit in Familienbesitz.“
Der Juwelier hielt kurz inne, ließ sich aber nichts anmerken. „Aha“, sagte er nur. Es klang mißtrauisch. Die Kette war weitaus älter, als der Kunde vorgab. Diesen Stil hatte er noch nie gesehen. Jemand, der ein Könner seines Faches war, hatte diese Kette gefertigt. Doch diese Kunstfertigkeit besaß selbst heute niemand mehr. Die Schriftzeichen, so klein sie waren, das Bild auf dem Goldplättchen, das alles war von jemandem gefertigt worden, der Erfahrung hatte, die Kunst beherrschte naturgetreue Darstellungen der alten Ägypter zu fertigen.
Der Juwelier wurde das Gefühl nicht los, daß die Kette so alt war wie das alte Ägypten selbst. Doch dafür brauchte er ein Foto, um es einem Experten zeigen zu können. Vielleicht würde er das Geschäft seines Lebens machen, wenn es sich nicht um Diebesgut handelte. Er musterte den Mann, der vor dem Verkaufstresen stand und durch den Raum blickte. Vom äußerem Erscheinungsbild deutete nichts darauf hin, das es sich bei dem Mann um einen Einbrecher handelte. Doch wie sah ein Einbrecher heutzutage aus? Von jedem harmlosen Bürger war er nicht zu unterscheiden. Möglicherweise stimmte die Geschichte, die der Mann zum besten gab und es war ein altes Familienerbstück. Doch dessen konnte er sich nicht sicher sein, weshalb er mißtrauisch blieb. Vor allem brauchte er Bilder.
„Ich muß mit Ihrer Kette kurz nach hinten, um zu überprüfen, um welche Goldlegierung es sich handelt. Wenn Sie mich bitte entschuldigen. Ich komme gleich zurück.“
Der Mann sah ihn an, wirkte unschlüssig, ob er die Kette nicht einfach wieder mitnehmen sollte. Dann entspannte sich das Gesicht seines Gegenübers.
„Gut, tun Sie, was Sie tun müssen. Ich werde warten.“
Unbehaglich fühlte er sich, als der Juwelier in seine hinteren Räume ging. Was machte der jetzt? Wie wollte er in der Schnelle die Goldlegierung herausfinden? Würde er dafür die Kette beschädigen, etwas ein kleines Stück abkratzen? Er hätte dem nicht zustimmen sollen, sondern hätte lieber die Kette an sich nehmen und den Laden verlassen sollen. Der Juwelier wollte ihn an der Nase herumführen, doch das würde er sich nicht gefallen lassen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, würde er die Kette noch schätzen lassen und dann gehen.
Minuten vergingen, die ihm wie Stunden, eine Ewigkeit vorkamen. Das Warten war unerträglich. Die Ungewißheit, was der Juwelier da machte, ließ ihn schier wahnsinnig werden.
Mit steinerner Miene, die nichts aussagte, kam der Juwelier aus dem Hinterzimmer, die Goldkette auf einem Tablett.
„Es handelt sich hierbei leider nicht um Gold, sondern um Elektrum, wie ich festgestellt habe. Das ist eine natürliche Legierung aus drei Teilen Gold und einem Teil Silber. Was anderes kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ziemlich ungewöhnlich die Legierung, auch das Design. Eine erstaunliche Arbeit.“
Zart strich der Juwelier über die herausgearbeiteten Figuren. Die Fotos waren schnell gemacht und im Internet hatte er herausgefunden, das in den Goldvorkommen auf ägyptischen Boden immer geringe Silberanteile vorhanden waren. Um die genaue Reinheit des Elektrums zu bestimmen, brauchte er die Kette. Ohne sie konnte er keine Tests machen.
Gierig starrte sein Gegenüber auf die Kette, konnte sich schließlich zusammenreißen und blickte ihn regelrecht uninteressiert an.
„Mit wie viel kann ich rechnen?“
„Ja, Moment bitte, da muß ich erst einmal rechnen.“
Der Juwelier holte aus einer Schublade eine Waage, die an eine der neumodischen Küchenwaagen erinnerte, legte die Kette auf die glatte Edelstahlfläche, notierte sich das Gewicht und rechnete den Betrag aus, den es voraussichtlich bei einem Goldverkauf für die Kette geben würde. Er kam auf knapp über zweihundertfünfzig Euro. Doch diesen Preis würde er für diese Kette niemals bieten. Sein Kunde war nicht des Preises kundig. Also würde er ein gutes Geschäft machen, wenn der Mann ihm die Kette verkaufen würde.
„Etwa 200€, genau 197,83€.“
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Baggerfahrers breit. Er hatte sich mehr erhofft, nicht diese läppischen 200€.
„Vielleicht versuchen Sie es mal an anderer Stelle, bei einem Sammler für altägyptische Kunst vielleicht. Möglicherweise wird der Ihnen mehr zahlen. Ich kann mich natürlich auch für Sie umhören. Wenn Sie die Kette hier lassen…“
„Nein, ich werde sie wieder mitnehmen. Wollte nur mal wissen, was die Kette so wert ist.“
Er nahm die Kette, steckte sie in eine Papiertüte und dann in seine Hemdtasche. Bevor der Juwelier etwas einwenden konnte, war er gegangen. Ärgerlich sah dieser ihm hinterher. Er hatte es falsch begonnen und das Mißtrauen des Kunden unterschätzt. Nun blieben ihm nur noch die Fotos. Vielleicht ließ sich so in Erfahrung bringen, was es mit dieser Kette auf sich hatte. Das die Kette kein Erbstück war, wie der Mann es ihm geschildert hatte, lag auf der Hand, dafür paßte sie von der Art der Herstellung und des Motivs, in kein Zeitalter. Auf welchen Pfaden auch immer sie in den Besitz des Mannes gekommen war, sie stammte eindeutig aus dem alten Ägypten.

Er hatte den Gang zum Juwelier schon bereut, als er das Juweliergeschäft betreten hatte. Wenn es ihm doch nur nicht ums Geld gegangen wäre. Aber er mußte wissen, wie viel diese Kette wert war, bevor er sie verschacherte. Dies war ihm nun bekannt, doch war er enttäuscht über den geringen Preis. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, daß der Juwelier ihn übers Ohr hatte hauen wollen.
Er würde abwarten und dann sein Glück erneut versuchen. In ein paar Tagen wäre über die Sache Gras gewachsen. So lange konnte er warten.