#Autorenwahnsinn Tag 5 – Urlaub mit deinen Protagonisten

Wo würde ich mit Isis Just Urlaub machen wollen? In den Bergen? Nein, daß ist nichts für Isis. Da könnte eine Lawine losgehen, ob nun Stein- oder Schneelawine ist völlig egal. Man muss sich nicht extra dem Risiko aussetzen, wenn es auch anders geht.
Ans Meer? Da langweilt man sich nur und bekommt einen Sonnenbrand. Tja, was bleibt da übrig?
Natürlich, Ägypten. Da könnten wir am Totentempel der Hatschepsut gegenseitig aus unserem Wissensschatz schöpfen, den Tempel von Karnak unsicher machen und das Luxor-Museum besuchen, was wir beide noch nicht kennen.
Aber es gibt noch einen weiteren Ort, den Isis und ich aufsuchen könnten und den wir auch bestimmt aufsuchen würden. Wir würden nach Belgien fahren und dort Europas klügsten Elefanten besuchen. Mala würde sich über unseren Besuch freuen, außerdem könnten Isis und ich uns dort gleich ein paar Ruinen widmen, wo es bestimmt etwas außergewöhnliches zu entdecken gibt – und das ist kein großer Panda, der eine Rutsche benutzt.
Mit Mona würde ich einen Besuch in Frankreich, um auf den Spuren des Moschusochsen unterwegs zu sein. Marseille, Nizza und schließlich Paris, wo sich sein Grab befindet. Dazu noch ein Besuch in der Cinématique Francaise, wo wir vielleicht Glück haben und es läuft tatsächlich ein Film mit ihrem Lieblingsschauspieler.
Bei Karla ist es wirklich schwierig, weil ich mir bei ihr wirklich noch nicht Gedanken darüber gemacht habe, wo ich mit ihr verreisen würde. Bei ihrem Vorbild wüsste ich es, aber da ich Karla diesen Punkt nicht gegeben habe, fällt das aus. Tja, was fällt mir da jetzt ein? Ein Strandurlaub, den ich aber nur im Schatten verbringen werde und an meinem aktuellen Projekt schreibe.
(Helen Dalibor)

Mit Isis Just nach Ägypten. Hier ist der Totentempel der Hatschepsut zu sehen: Djeser Djeseru – das Göttliche des Göttlichen

Vier Wochen Schreiben – Tag 15

Heutiges Thema: Wie lange brauchst du, um einen Roman zu schreiben?
Das hängt vor allem davon ab, wie viel Zeit ich dafür erübrigen kann. Wenn ich jeden Tag mindestens zweihundert Wörter schreibe, am Wochenende vielleicht ein wenig mehr, sagen wir so um die fünfhundert bis tausend Wörter, dann brauche ich ungefähr ein Jahr bis anderthalb Jahre, um einen Roman fertigzustellen. Natürlich hängt es auch vom Umfang ab, wie lange es tatsächlich dauert und ich meinen Roman fertig habe. Im Grunde brauche ich für die reine Schreibarbeit tatsächlich so in etwa ein Jahr. Strenge ich mich richtig an, kann es auch ein halbes Jahr sein, aber da muss ich mich wirklich ranhalten, um das zu schaffen.
Kommt nun noch die Recherche dazu, dann kann die sehr umfangreich werden, wie ich es gerade bei KOLGOMOROW (Arbeitstitel) erlebe. Seit Ende 2013 recherchiere ich über einen Schauspieler aus den zwanziger Jahren und bin immer noch nicht fertig. Zwar kann ich mir nun ein halbwegs gutes Bild von seinem Leben machen, aber mehr auch nicht. Das Problem bei diesem Schauspieler ist, dass es keine Biografie über ihn gibt. Es gibt eine Art Autobiografie, aber die muss man mit Vorsicht genießen, wie alles, was aus seiner eigenen Feder stammt, weil er ein „Märchenerzähler“ gewesen ist.
Bei DIE ROLLEN DES SETH habe ich nicht besonders viel recherchieren müssen, weil mir einiges davon bereits bekannt gewesen ist. Ich habe zwar noch einige Biografien über Hatschepsut, Echnaton oder Nofretete mir durchgelesen, aber daraus habe ich später nur Kleinigkeiten verwendet. Zu den Filmen hatte ich bereits Jahre vorher recherchiert, weshalb ich dazu nichts mehr machen musste. Alle bis dahin vorliegenden Informationen hatte ich mir besorgt und konnte sie nun wieder verwenden.
Auch bei IM ZEICHEN DES DENKMALS gestaltete sich die Recherche nicht als besonders schwierig, da sich der 200. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig näherte und dadurch einige Bücher und Artikel zu dem Thema erschienen, die ich gut verwenden konnte.
Bei IJ7 gestaltet es sich ähnlich. Ich habe ein halbes Jahr bevor ich den allerersten Satz geschrieben habe, mit der Recherche begonnen und fand erheblich viel Material. Inzwischen ist es so viel, dass ich wirklich sehen muss, dass ich davon nicht erschlagen werde und mich vor allem nicht verzettele. Ich muss genau abwägen, was ich brauchen kann und was nicht.
Tja, neben Romanen schreibe ich auch an Kurzgeschichten. Für diese brauche ich etwa zwei bis drei Monate. Das sind ungefähr an die 40.000 Wörter, die ich dort schreibe. Wenn es gut läuft, dann sind es wirklich zwei Monate, die ich daran schreibe. Ich habe aber auch schon eine Kurzgeschichte gehabt, die einfach nicht enden wollte und am Ende standen 70.000 Wörter zu Buche. Für diese Geschichte brauchte ich mehr als ein halbes Jahr.
Wenn ich nun nach etwa einen Jahr den Roman beendet habe, kommt natürlich noch die Überarbeitung. Das ist etwas, wovor ich mich am liebsten drücke, weshalb das eigentlich am längsten dauert. Wenn ich mich wirklich ranhalte, schaffe ich so in etwa fünf bis zehn Kapitel pro Tag. Wenn es schlecht läuft, ist es tatsächlich nur eines. Natürlich hängt es auch davon ab, wie lang so ein Kapitel ist. Es gibt längere und es gibt kürzere.
Alles in allem kann ich sagen, dass es immer von der Länge des Werke abhängt, wie lange ich brauche bis ich fertig bin.
Bei einem Roman von mehr als 150.000 Wörtern Umfang kann es schon ein gutes Jahr dauern bis ich fertig bin.
(Helen Dalibor)

Die Rollen des Seth wurde überarbeitet

Habe heute die überarbeitete Fassung von IJ2 alias DIE ROLLEN DES SETH bei Neobooks hochgeladen.Nun liegt es in deren Hand, die Aktualisierung schnell an die Vertriebskanäle weiterzuleiten.
Was wurde geändert?
Zum einen wurden letzte Tippfehler entfernt und zum anderen die Handlung um wenige Sätze erweitert. Außerdem wurden unlogische Handlungsstränge in Ordnung gebracht.

Wer noch nict DIE ROLLEN DES SETH gelesen hat, sollte dies schnellstens nachholen. Aber erst einmal auf die Aktualisierung warten.
Übrigens ist der Thriller auch ein schönes Weihnachtsgeschenk. In wenigen Tagen soll auch eine gedrückte Version des Romans raus kommen. Die wird dann allerdings ein paar Euro teurer sein als das Ebook.

Nun auch endlich auf Amazon

Letzte Woche war Die Rollen des Seth endlich neben Xinxii auch auf Neobooks verfügbar. Nun hat es mein Werk, auch auf Amazon geschafft. Und wie schön, daß es gerade der 16. April war.
Wer also das Buch lesen will, sollte bei Amazon in der Suchanzeige einfach „Helen Dalibor“ oder „Die Rollen des Seth“ eingeben.

Und darum geht es:
Ein 3.000 Jahre altes Geheimnis, das die Welt erschüttern könnte.

Kurzbeschreibung 1912 kommt in Hamburg ein junger Ägypter an. Er ist Mitglied der Völkerschau „Am Nil“, die im Stellinger Tierpark gastieren soll. Doch seine eigentliche Aufgabe ist es, einen Krug und eine Kette zu verstecken, die seit Jahrhunderten seiner Familie den Tod gebracht haben. Gemeinsam mit seinen zwei neuen Freunden, einem Kaufmannsenkel und einem Tierpfleger, versucht der junge Ägypter die Gegenstände in Sicherheit zu bringen. Doch das ist schwerer als gedacht, denn seine Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen und zu allem entschlossen…

Knapp hundert Jahre später taucht der Krug wieder auf. Die Ägyptologin Isis Just ersteigert ihn, nichtsahnend, damit nicht nur einen Gegenstand in Besitz gebracht zu haben, der die Geschichte Hatschepsuts, Nofretetes, Echnatons und Tutanchamuns neu schreiben würde. Doch das Wissen der Schriftrollen ist gefährlich. Mit aller Macht versucht eine geheimnisvolle Bruderschaft, das Wissen in ihren besitz zu bekommen. Dabei schrecken sie nicht einmal vor Mord zurück. Während Isis Just das Rätsel ihrer Vorfahren und das der Schriftrollen zu lösen versucht, zieht sich das Netz der Bruderschaft immer enger um sie…

Also, schnell zu Amazon und „Helen Dalibor“ oder „Die Rollen des Seth“ eingeben. Dann das ebook kaufen und schon gibt es die ganze Geschichte.
Viel Spaß beim Lesen!

Nachwort

Nach Carl Zuckmayer war die Stadt Hamburg klein, dafür allerdings von einem riesigen Zauberreich umgeben, das viel bedeutender in der Vorstellung sei, als die Lüneburger Heide oder die Waterkant. Und das sei Hagenbeck. Das im Übrigen kein Eigenname sei, wie der Wilde Westen oder Alaska, sondern der Ausdruck für ein geheimnisvolles, unerforschtes Land, in das man sich sehne wie in die Erfüllung eines Abenteuers.
Noch heute steht Hagenbeck für den ersten gitterlosen Zoo, eröffnet im Mai 1907 vor den Toren Hamburgs in dem kleinen preußischen Ort Stellingen.
Eigentlich hatte Carl Hagenbeck sein Paradies für Tiere in seiner Heimatstadt eröffnen wollen. Dazu erwarb er ein Grundstück in Horn und wollte von der Stadt das umliegende Gebiet dazukaufen. Doch Hamburg weigerte sich, denn die Hansestadt hatte bereits einen Zoo, der sich am Dammtor-Bahnhof befand. So wich Hagenbeck nach Stellingen aus, das vor den Toren Hamburgs lag.
Bereits kurz nach der Eröffnung zeichnete sich ab, daß das neue Konzept vom gitterlosen Zoo ein voller Erfolg war. Die Besucherzahlen des Zoologischen Gartens in Hamburg gingen zurück und man überlegte dort fieberhaft, wie man für die Hamburger wieder attraktiv werden könnte. Noch dreiundzwanzig Jahre überlebte der Zoologische, bevor er für immer seine Pforten im Jahr 1930 schloß.
Die Völkerschauen waren bereits vor der Eröffnung des Tierparks in Stellingen ein Besuchermagnet gewesen. Die Menschen waren fasziniert von fremden Ländern. Nur gab es vor hundert Jahren nicht die Möglichkeiten, sich ins nächste Flugzeug zu setzen und den Ort seiner Wahl aufzusuchen. Schiffsreisen ermöglichten Reisen in entfernt liegende Länder wie die USA, Kanada, Ägypten oder Indien. Allerdings waren diese Reisen mit einigen erheblichen Strapazen verbunden. Um an seinen Zielpunkt zu gelangen, brauchte man mehrere Wochen und war zudem auf dem Meer den Wetterverhältnissen ungeschützt ausgesetzt.
So war es viel einfacher und vor allem günstiger, sich die fernen Welten direkt vor der eigenen Haustür anzusehen.
Doch mit den Jahren gab es Anstöße an den Bedingungen, wie die Menschen der Völkerschau während der Zeit leben mußten, zudem gab es immer bessere Möglichkeiten, sich selbst eine Reise in entferntere Länder zu leisten. So endeten Anfang der dreißiger Jahre die Völkerschauen in Hagenbeck‘schen Tierpark.
Ob es in der Zeit von 1912 bis zum 03. Oktober 1920 wirklich eine Elefantenkuh namens Bertha gegeben hat, ist mir nicht bekannt.
Zur damaligen Zeit existierte für die grauen Riesen nur ein Elefantenhaus, da die Rüsseltiere sich dort kurz aufhielten, um schnell an ihre weiteren Bestimmungsorte gebracht zu werden, wie andere Zoos oder einen Zirkus. Die große Elefantenanlage, die heute noch existiert, wurde erst 1937 eröffnet, nachdem im Jahr zuvor die Straße verschwand, die den Tierpark in zwei Teile geteilt hatte. Die Anlage steht auf dem ehemaligen Gelände der Völkerschauen, die Anfang der dreißiger Jahre ausliefen, da das Interesse der Menschen daran abgenommen hatte und nicht mehr zeitgemäß war.
Seit dem letzten Jahr wissen wir, daß ein Elefant durchaus in der Lage ist, zu lernen, einzelne Worte zu sprechen. Allerdings kann der Dickhäuter die Bedeutung der Worte nicht einordnen und sagt nicht das passende Wort in der richtigen Situation. Hingegen habe ich Bertha das Bewußtsein gegeben, genau zu wissen, was sie in der jeweiligen Situation sagen muß. Ich mag sie in diesen Szenen vermenschlichen, allerdings glaube ich, daß ein Elefant tatsächlich in der Lage ist, ein Wort zu sagen und dessen genaue Bedeutung zu kennen. Schließlich haben sie auch gelernt, was ein bestimmter Befehl bedeutet, der ihnen gegeben wird.
Bei Berthas Verhaltensweise habe ich möglichst versucht, dem naturgetreuen Verhalten eines Elefanten nachzukommen, so wie ich es bei den grauen Riesen beobachten konnte. Dabei blieb nicht aus, ein Vorbild unter den Elefanten zu haben, die ich kenne und die sich in Bertha alle wiederfinden. Es ist nicht nur ein Rüsseltier, da Berthas Charakter so vielfältig und komplex ist, wie ich ihn bei keinem einzigen Elefanten fand. So dienten als Vorbild Vilja, die im Juli 2010 verstorbene Elefantenkuh aus der Stuttgarter Wilhelma, die in jüngeren Jahren alles fraß, was ihr vor den Rüssel kam. Dann Shandra, die gegenwärtig in Hagenbeck lebt, sensibel ist und eingeschnappt reagiert, wenn es nicht direkt nach ihrem Kopf geht. Dieses Verhalten nenne ich Charakter besitzen, obwohl jeder Elefant Charakter hat. Aber damit meine ich, daß Shandra sich nicht bestechen läßt, wenn sie beleidigt ist. Und zu guter Letzt trägt Bertha die Züge von Jenny, die gegenwärtig in Karlsruhe lebt. Sie ist meiner Meinung nach, die schlaueste Elefantenkuh, die ich kenne. Wobei ich damit nicht sagen möchte, daß die anderen Elefanten dumm seien, denn aus sie sind klug und durchaus gewitzt. Doch Jenny ist für mich der Elefant, der mir am meisten bedeutet. Und so war es für mich selbstverständlich, daß sie durch Bertha dargestellt werden sollte. Aber wie es so ist im Laufe des Schreibens, stahl sich noch eine weitere Dickhäuterin in Berthas Charakter. Das ist Mala, die am 04. Juli 2012 den Tierpark Hagenbeck verlassen mußte, da für sie kein Platz mehr war. Als „Tausendschön“ setzte ich ihr ein weiteres literarisches Denkmal, da ich der Überzeugung bin, daß sie maßlos unterschätzt wurde und wird. Viele haben in Mala nur einen langweiligen Elefanten gesehen, der ständig mit dem Kopf nickte, also webte, oder nur ans Fressen dachte. Doch Mala war und ist viel mehr als diese Eigenschaften, die oberflächliche Blicke wahrnahmen. Doch so haben sie leider viele gesehen und das war mitunter auch ein Grund, warum Mala gehen mußte. Dabei ist die alte Socke – ja, es ist Malas Spitzname, den Pascal für seine Bertha nutzt – unheimlich klug und gelehrig. Verfressen mag sie sein, das gebe ich gerne zu. Doch sie war und ist die liebenswürdigste Dickhäuterin, die ich je kennengelernt habe. Doch vor zwei Jahrzehnten hatte sie sich selbst ins Abseits katapultiert, war das fünfte Rad am Wagen geworden. Solange es noch das Elefantenreiten gegeben hatte und sie als Husseins Gesellschafterin fungieren durfte, war sie gut genug. Nachdem beides wegfiel, paßte die Dickhäuterin nicht mehr ins Konzept, das von einer „gewachsenen“ Herde aus Müttern, Tanten und Jungtieren besteht. Dabei hat diese Herde ebenfalls einen Elefanten, der aus dem Rahmen fällt. Auf die alte Socke könnte man den guten alten Spruch verwenden: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Mala zog ins belgische Brugelette und stand dort monatelang allein auf einer Anlage. Nachdem sie sich dort recht einsam fühlte, was man ihrer Art des Webens erkennen konnte, bekam die Dickhäuterin Ende November Gesellschaft von zwei anderen Elefantendamen. Wie es ihre Art ist, hat sie gleich gezeigt, wer von ihnen das Sagen hat: Mala Tausendschön.
Doch so weit sie auch weg sein mag, ist sie präsenter denn je. Im Pairi Daiza sind Malas Qualitäten erkannt worden und sie wird so gefördert und gefordert, wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Denn sie ist eine der klügsten Elefantenkühe, die es in Europa gibt.
Wie Jenny ist mir Mala sehr ans Herz gewachsen, und so mußten Elefanten eine besondere Rolle spielen. Noch heute sind sie im Logo des Tierpark Hagenbeck zu finden. Hagenbeck ohne Elefanten ist undenkbar, wie auch Hagenbeck ohne Mala. Doch dieser Tag ist leider gekommen. Das Gehege, wo Mala zwanzig Jahre zu Hause war, ist verwaist. Mit dem Weggang der Elefantin hat Hagenbeck seinen größten Star verloren. Vielleicht werden sie dies eines Tages erkennen, aber dann wird es zu spät sein. Doch mit diesem Roman wird Mala auf ewig weiterleben.
Bereits nach der Eröffnung des Tierparks am 07. Mai 1907 wurde er genutzt, um Dokumentationen oder Wochenschau-Berichte zu drehen. Nachdem der Stummfilm immer populärer und die Filme abendfüllender wurden, wurde der Tierpark nun auch dazu genutzt. Die exotische Kulisse bot sich dazu einfach an.
Im 1912 gedrehten Film Die lebende Brücke wurde tatsächlich, wie im Roman geschildert, ein Bär vor laufender Kamera erschossen. Nicht nur heute würde es zu einem Aufruhr der Empörung in der Öffentlichkeit kommen, auch damals ist dies geschehen.
Ein Fragment des Films Die lebende Brücke befindet sich im Deutschen Film-Institut (DFI). Die Glückspilze hingegen gilt als verschollen und sehr wahrscheinlich als verloren.
Filmarchive, wie es sie heute gibt, hat es vor hundert Jahren nicht gegeben. Einige Regisseure wie Georges Méliès oder Filmgesellschaften lagerten ihre Filmrollen ein. Doch waren sie nicht sicher. Es konnte zu Bränden kommen oder die Rollen wurden bewußt zerstört, wie Georges Méliès es tat, als er Konkurs ging. Zu Beginn der Tonfilmära wurden die Stummfilmrollen ebenfalls vernichtet. Einerseits wollten die Produktionsfirmen Platz im eigenen Archiv schaffen, während sie andererseits annahmen, niemand würde sich nun im Zeitalter des Tonfilms mehr für Stummfilme interessieren. So wurden einzigartige Schätze der Filmwelt zerstört.
Des Weiteren ist die Filmrolle selbst ein Problem. Die Rolle ist nicht nur leicht entflammbar, sondern fängt auch mit der Zeit zu „schwitzen“ an. Schließlich verklebt sie, verfärbt sich und ist vollkommen zerstört.
So kann es sein, daß in irgendeinem Archiv noch Rollen mit den Filmen Die lebende Brücke und Die Glückspilze liegen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihnen. So viele Filme liegen noch unentdeckt in den Archiven in aller Welt. So viele, daß wir sie in hundert Jahren nicht durchsehen und retten können.
1919 begann dann das große Zeitalter des Filmdrehs in Hagenbeck. Unter der Regie von Fritz Lang wurden die beiden Filme Der goldene See und Das Brillantenschiff der Abenteuerserie Die Spinnen gedreht sowie das japanische Drama Harakiri. Die für die Streifen verantwortliche Produktionsfirma Decla hatte vorgehabt, neben dem Gelände des Tierparks ein Filmatelier zu errichten. Es waren in der Lichtbildbühne bereits Mitarbeiter für den Standort gesucht worden, als die Decla um die Jahreswende 1919/20 mit der Bioscop AG zur Decla-Bioscop fusionierte. Sie nutzten nun die vorhandenen Bioscop-Ateliers in Neubabelsberg, damit waren die Filmateliers in Stellingen Geschichte.
Wie Erich Pommer mit der Decla auf den Tierpark Hagenbeck als Drehobjekt aufmerksam wurde, ist nicht bekannt. Ich gab hierfür an, dass bereits im Jahr 1918 im Tierpark ein Film unter der Regie von Otto Rippert gedreht werden sollte. Hierbei handelte es sich um Madame Butterfly, der ein Jahr später unter dem Titel Harakiri mit Fritz Lang als Regisseur gedreht wurde. Wenige Monate zuvor hatte es in einer Ankündigung geheißen, daß Josef Coenen Regie führen würde. Warum Coenen aus dem Projekt ausstieg, ob im Jahr 1918 bereits Szenen des Films gedreht wurden und ob Hagenbeck wirklich als Drehort vorgesehen war, wie ich es anklingen lasse, darüber ist nie etwas verlautbart worden, man kann nur Vermutungen anstellen.
Für die Ausstattung der Requisiten der Filme war Heinrich Umlauff, der Direktor des ethnologischen Museums verpflichtet worden. Er zeichnete sich auch für die naturgetreuen Ausstattungen der Völkerschauen verantwortlich. So waren nach seiner Anleitung die Abu Simbel-Statuen zur Völkerschau Am Nil entstanden.
Die Völkerschau Am Nil wählte ich aus, da ich über sie einige Informationen zusammentragen konnte, auch wenn ich nicht genau benennen kann, wann genau sie im Jahre 1912 stattgefunden hat oder wie lange sie dauerte. Mir ist nur bekannt, daß sie im Sommer des Jahres, um die Monate Juli und August herum, stattgefunden hat, das aus einem Zeitungsausschnitt über die Dreharbeiten der Gebrüder Wolf zu ihrem Film Die Glückspilze hervorgeht.
Als ich begann dieses Buch zu schreiben, waren weder der erste Teil der Romanreihe beendet noch der zweite geschrieben worden. Eigentlich hatte ich den vorliegenden Roman als zweiten Teil geplant, doch während ich daran saß, wurde mir bewußt, daß dies erst der dritte Teil werden würde.
Daß das Eismeer komplett abgerissen und in einem gewaltigen Bau neu erstehen würde, war mir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen. Doch als ich davon Kenntnis erhielt, baute ich den Abriß als Ausgangspunkt der Handlung des Romans mit ein.
Mit dem Auftauchen Masuts ist geklärt worden, warum Isis in den Träumen während ihrer Ägypten-Reise Hatschepsut bis aufs Haar geglichen hatte.
Ob Hatschepsut wirklich zugunsten ihres Stiefsohns Thutmosis III. abdankte, wissen wir nicht. Nach ihrem 22. Regierungsjahr verschwand sie spurlos, so daß auch angenommen werden kann, daß sie abdankte. Ob sie und Senenmut tatsächlich ein Liebespaar waren, ist bis heute ungewiß. Es gibt Vermutungen, aber keinen eindeutigen Beweis. Auch gibt es keine Erklärung dafür, warum er nach Neferures Tod in Hatschepsuts 16. Regierungsjahr spurlos verschwand.
Ich spann den Faden, daß Senenmut in die Verbannung geschickt wurde, wie ich es schon in einem von Isis‘ Träumen im ersten Band geschildert hatte.
Bei Echnaton griff ich auf die neuesten Erkenntnisse der Gen-Analysen zurück. Das Skelett aus KV55 wird mit Echnaton gleichgesetzt, da die vorhandene DNA darauf schließt, daß dies der Vater von Tutanchamun ist. Nur gibt es einige Ungereimtheiten in der Altersbestimmung, die lange Zeit auf einen Mitte Zwanzigjährigen wies und nun auf einen vierzig Jahre alten Mann schließt. Aufgrund dessen erfand ich einen Zwillingsbruder Echnatons. Da eineiige Zwillinge dieselbe DNA haben, läßt sich nicht erkennen, ob es sich um den Ketzerpharao oder seinen Zwilling handelt.
Ein weiterer Punkt, warum das Skelett aus KV55 Echnaton sein soll, sind zwei Zauberziegel, die den Thronnamen des verfemten Pharaos nennen.
Die Theorie, ob Nofretete tatsächlich als Semenchkare den Horus-Thron bestieg, ist bis heute unter den Ägyptologen umstritten. Es mag einige Hinweise darauf geben, daß Nofretete tatsächlich dieser geheimnisvolle unbekannte Pharao war. Doch beruhen auch diese auf Spekulationen.
Da ist einmal derselbe Eigenname, den beide tragen: Neferneferuaton, schön sind die Schönheiten des Aton. Dies wird häufig als Beweis erwähnt. Zudem trug die schöne Königin vom Nil die Atef-Krone, wie es zuvor nur Hatschepsut tat.
Der britische Ägyptologe Cyril Aldred hatte herausgefunden, daß im Amarna-Kunststil zwischen Frauen und Männern unterschieden wurde. Die weiblichen Darstellungen hatten einen konvexen Nacken, während er bei den männlichen konkav gewesen ist.
Nofretete und Semenchkare werden beide mit einem konvexen, weiblichen Nacken abgebildet.
Als weiteres Indiz für die Theorie gilt, daß der unbekannte Pharao in seinem Namen die Beiworte trägt: geliebt von Warenre. Dies ist ein Bestandteil von Echnatons Thronnamen.
Ob Nofretete tatsächlich Semenchkare war, können die Ägyptologen bis heute nicht sagen, auch wenn es einige Punkte gibt, die dafür sprechen.
Sicher ist allerdings, daß die Schöne vom Nil nicht nach Echnatons 12. oder 14. Regierungsjahr spurlos verschwand. Im Dezember 2012 gaben Wissenschaftler der niederländischen Katholischen Universität Leuven in Belgien bekannt, daß sie zu Beginn des Jahres in einem Steinbruch nahe Achet-Aton eine Inschrift entdeckt hätten, die Nofretete in Echnatons 16. Regierungsjahr nennt.
Möglich, daß Nofretete ihren Gemahl überlebte.
Ob es sich bei Echnaton und Nofretete tatsächlich um Geschwister gehandelt haben, läßt sich beim heutigen Stand der Forschung nicht beweisen. Zwar fand man heraus, daß die Younger Lady und das Skelett aus KV55 die Eltern von Tutanchamun sind. Es gibt allerdings kein verwertbares Vergleichsmaterial von den sechs Töchtern Echnaton und Nofretetes, das unter anderem Meritaton, Maketaton und Anchesenamun sind.

Der Elefantendompteur Mathias Walter, Heinrich Umlauff, Carl Hagenbeck, Fritz Lang, Friedrich Müller, Charles Paulus, Siegward Gruner, Margot Petersen und die Gebrüder Wolf haben wirklich gelebt. Alle anderen Personen wurden von mir erdacht und zum Leben erweckt. Falls sich jemand in einer dieser Personen wieder erkennen sollte, war dies nicht beabsichtigt und ist aus meinem Unterbewußtsein heraus entstanden. Denn alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die einzige Ähnlichkeit, die beabsichtigt ist, ist die von Bertha und Mala. Indem ich Pascals Dickhäuterin die Eigenschaft gab, Fragen mit Ja und Nein zu beantworten, konnte es kein anderer Elefant als Mala sein, auch wenn Bertha, wie bereits erwähnt, noch Eigenheiten anderer Elefanten hat. Auch das Scharren mit dem Fuß, wie ein Stier vor dem Angriff, habe ich von Mala übernommen. Dieses Scharren ist eine Drohung. Die Elefantin wurde im April 2012 wieder einmal recht rüde von Hussein behandelt. Mehrmals scharrte sie mit dem Fuß und trat auch einmal mit dem Hinterfuß aus, als wolle sie ihren Artgenossen in den Graben werfen. Um dieses Vorhaben auszuführen fehlten ihr allerdings noch etliche Zentimeter.
Als Pascal sich von Bertha verabschiedet, warnt er sie, sich nicht böse gegenüber ihren neuen Pflegern zu verhalten, da er nicht möchte, daß sie getötet wird. Der junge Justine benutzt dafür das Wort Electrocution, erwähnt in diesem Zusammenhang Thomas Alva Edision und den Stromkrieg.
Ende des 19. Jahrhunderts verlor Edison mit seinem Gleichstrom gegen George Westinghouse, da dessen Wechselstrom auch über weite Strecken einen geringen Energieverlust bedeutete. Der erfolgsverwöhnte Edison konnte diese Niederlage nicht verwinden, da diese Technik auch von seinem ehemaligen Mitarbeiter Nicola Tesla entwickelt worden war. Deshalb versuchte Edison den Menschen zu zeigen, wie gefährlich Westinghouse‘ Wechselstrom ist. Dazu ließ er Tiere wie Hunde oder Katzen durch Wechselstrom töten und 1903 eben auch einen Elefanten.
Topsy hatte bereits mehrere Menschen auf dem Gewissen. Daß sie diese angegriffen hatte, da die ihr gegenüber sich ungerecht verhalten hatten, wurde hierbei ausgeblendet. So hatte der Pfleger, der ihr dritter „Opfer“ war, sie mit brennenden Zigaretten gefüttert. Doch noch durfte Topsy weiterleben, obwohl sie die damals für einen Elefanten normal angesehene Anzahl der Todesopfer, die sich auf zwei Menschenleben bezog, überschritten hatte.
Da ihr Pfleger auf Coney Island allerdings die meiste Zeit über betrunken war, wurde entschieden, daß Topsy sterben mußte. Man entschied sich, sie zu hängen, dagegen erhob der US-amerikanische Tierschutzverein Einspruch.
Und so kam Edison ins Spiel. Die Edison Company, die New York mit Strom versorgte, wollte die Elektrocution ausführen. Zum damaligen Zeitpunkt befand sie sich nicht mehr im Besitz des Erfinders. Dennoch ließ Edison die Electrocution an der Elefantenkuh filmen, so daß jeder deren Hinrichtung noch heute im Internet ansehen kann. Dazu braucht man auf youtube nur die Suchworte elephant, electrocuting und Topsy eingeben.
George Westinghouse und andere waren über Edisons Methoden empört. Doch der Erfinder ließ sich nicht beirren, sondern ließ sogar zu, daß der Strom auch Menschen töten durfte – der elektrische Stuhl.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es völlig normal, einen Elefanten hinzurichten, wenn er mehrere Menschen getötet hatte und als gefährlich eingestuft wurde. Es war ein großes Spektakel. Oft wurden Elefanten erschossen oder auch gehenkt, was durchaus mal schiefgehen konnte, wie bei Elefantenkuh Mary. Diese brach sich durch einen Sturz, als das Seil riß, das Becken, bevor sie getötet wurde. Insofern schien die Methode der Elektrocution eine kurze Qual bis zum Tod zu sein.
Doch man sollte nie vergessen, daß nicht der Elefant am Ende die Schuld für den Tod eines Menschen trägt, sondern immer nur der Mensch selbst. Durch sein verantwortungsloses Handeln bringt er sich nicht nur in Gefahr, sondern schadet auch dem Elefanten, der das Vertrauen in die Menschen verliert, gefährlich und unberechenbar wird. Solche grauen Riesen zu resozialisieren ist schwierig – aber nicht unmöglich. Es erfordert Geduld und Einfühlungsvermögen, damit der Elefant wieder lernt dem Menschen zu vertrauen.
Wer sich wundert, daß in der Handlung um Pascal Justine immer nur von Stellingen als eigenständigem Dorf gesprochen wird, dem möchte ich an dieser Stelle sagen: Dies ist kein Fehler meinerseits.
Stellingen war ein eigenständiges preußisches Dorf bis es 1928 zur Stadt Altona kam. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz im Jahr 1937 wurde Altona ein Stadtteil der Hansestadt. Seitdem hat Hamburg auch wieder einen Zoo: den Tierpark Hagenbeck.

14. Kapitel

Als Masut seinen Schlafraum aufsuchte, nahm er einen fremden Geruch wahr. Sein Blick irrte durch den Raum bis er an etwas haften blieb. Erschrocken zog er die Luft laut ein. Das Tuch, welches die beiden Gegenstände verhüllte, lag anders gefaltet da. Die linke Ecke lag zu oberst, obwohl der junge Ägypter sie kunstvoll um den Hals des Kruges gelegt hatte.
Jemand war hier gewesen, jemand, der gezielt nach den Gegenständen gesucht und sie natürlich auch entdeckt hatte. Masut hatte sich sicher gefühlt und es nicht für nötig befunden, die Gegenstände zu verstecken. Dies hatte sich nun geändert.
Doch wo sollte er ein passendes Versteck finden? Er kannte nur das Beduinendorf, hatte einmal den Tierpark gesehen und diese wundervollen Kunststeine. Die Felsenbauten, groß und imposant, waren sie nicht das ideale Versteck? Konnten sie als Versteck dienen? Gab es einen besseren Ort als diesen? Doch wie sollte er dorthin noch einmal gelangen? Er kam hier nicht raus aus dem Dorf. Einzig Johann konnte es ohne Probleme verlassen und sich frei im Tierpark bewegen. Doch sollte er Johann in sein Geheimnis einweihen? Sollte er ihn den Gefahren aussetzen, in denen er nun schwebte? Er hatte so vorsichtig gehandelt, während der ganzen Fahrt auf dem Schiff über den Krug gewacht, ihn bei seiner Abreise so verpackt, als würde er einen Haufen an Kleidung und Sandalen mitnehmen. All die Vorsichtsmaßnahmen hatte er sorgfältig ausgeführt. Und als er sich in Sicherheit gewogen hatte, hatte er es nicht mehr für nötig gehalten, die Gegenstände sorgfältig zu verstecken, sondern hatte sie nur in eine Ecke seines Schlafraumes gestellt.
Das war ein Fehler gewesen, wie sich herausgestellt hatte. Nun war man hinter ihm her. Er mußte die Augen offen halten, wenn er die nächsten Monate weiterleben wollte.
Ein Lufthauch strich an seiner Wange vorbei. Reglos blieb er stehen.
Jemand war in den Raum getreten. Vielleicht derjenige, der nach dem Krug gesucht hatte? Er wußte es nicht. Traute sich auch nicht, sich umzudrehen. Lieber würde er warten bis der Feind zuschlug. Dann wäre es vorbei.
„Ich habe dich schon gesucht“, sagte eine ihm vertraute Stimme.
„Johann!“, sagte Masut sichtlich erleichtert und fiel aus seiner Starre. Alle Last fiel von ihm ab. „Was machst du? Warst du schon mal hier?“
„Ich habe dich gesucht, aber ich hatte hier noch nicht geschaut. Ich wollte dir sagen, daß ich das Beduinendorf verlassen werde. Pascal und seine Schwester werden mich zur Schule schicken.“
„Schule?“ Masut verstand nicht, was Johann ihm sagen sollte. „Muß ich da auch hin?“
„Weiß ich nicht. Wenn du nicht lesen und schreiben kannst, solltest du auch eine Schule besuchen.“
„Ich kann meinen Namen schreiben und die Bibel kann ich auch lesen. Reicht das?“
Johann lachte.
„Für dich wird es reichen, für mich nicht.“
„Kommst du dann nicht mehr?“ Masut fühlte sich auf einmal allein, fremd an diesem Ort, der nun seit Wochen schon sein Zuhause war.
„Natürlich werde ich kommen. Nur weil ich jetzt wieder zur Schule gehe und nicht mehr hier lebe, vergesse ich dich nicht. Du bist doch mein bester Freund.“
„Gehst du heute?“
„Ja, ich werde meine Sachen zusammenpacken und dann für einige Wochen bei Pascal und seiner Schwester leben bis ich dann meinem Großvater vorgestellt werde. Wenn er mich denn kennen lernen möchte.“ Johann hatte seinen Kopf gesenkt. Unsicher, zaghaft und kaum hörbar war der letzte Satz über seine Lippen gekommen. Er wußte nicht, wie sein Großvater die Nachricht auffassen würde, daß er einen Enkel habe.
Bis vor einigen Tagen hatte er nicht einmal gewußt, daß er überhaupt noch irgendwelche anderen Verwandte hatte als die Schwester seiner Mutter, die ihn wie ein Stück Vieh verkaufte, um ihn los zu sein.
Er hatte nicht gewußt, daß er einen Großvater hatte. Seine Eltern hatten nie von ihm erzählt. Nur einmal, da hatte er eine Fotografie gefunden, die er stolz seiner Mutter gezeigt hatte. Die Fotografie zeigte einen älteren Mann mit strengem Blick, aber liebevollen Augen. Und neben diesem Mann stand sein Vater. Die Mutter hatte ihm sofort die Fotografie weggenommen und ihn gescholten. Doch ihre Augen hatten etwas Trauriges angenommen, so daß Johann nicht weiter fragen wollte. Er hatte sie später noch einmal fragen wollen, wenn er älter war, doch dies war ihm nicht mehr vergönnt gewesen. Kurze Zeit später waren seine Eltern tot gewesen. Die Fotografie hatte er nie wieder gesehen. Vielleicht hatte seine Mutter sie vernichtet.
In den letzten Tagen fragte er sich immer wieder, warum er nicht zu seinem Großvater gekommen war. Hatte dieser ihn nicht haben wollen? Wenn dies tatsächlich so gewesen war, würde er ihn jetzt auch nicht haben wollen. Warum sollte er auf einmal sentimental werden und seinen Enkel jetzt doch im Haus aufnehmen? Wenn er Pech hatte müßte er wieder zu seiner Tante zurückkehren. Nein, das wollte er auf keinen Fall. Da würde er sich wieder als Beduine verkleiden und wenn er es bis zum Ende seines Lebens tun mußte. Dann hatte das Schicksal es so gewollt.
„Viel hast du nicht, daß du mitnehmen kannst.“
Masut erinnerte sich an das kleine Bündel, das sein Freund vom Schiff mitgenommen hatte.
„Soll ich von dir was mitnehmen? Den Beutel da vorne, den ich schon vor Wochen gerettet habe?“ Johann deutete auf den Krug, verborgen in einem fein gewebten Wolltuch.
Der Ägypter blickte den blonden Jungen an und sah dann auf den Krug, an dem auch das Amulett des Todes hing.
Das ihm nicht gleich die Idee gekommen war, als Johann davon sprach, das Beduinendorf zu verlassen. Er wäre die Last los und müßte sich erstmals keine Sorgen machen, wo er die Gegenstände des Verderbens unterbringen sollte, damit sie sicher waren. Doch wollte er Johann die verfluchten Gegenstände wirklich übergeben? War das Risiko nicht zu groß? Wollte er seinen Freund wirklich in Gefahr bringen, um selbst der Bedrohung zu entkommen? Johann kannte das Risiko nicht, das er eingehen würde, wenn er die Gegenstände mitnähme.
Es war nicht rechtens, was er tat, doch er mußte es tun. Für einige Wochen würde die Gefahr, die über ihm schwebte, gebannt sein. Innerhalb dieses Zeitraums mußte er sich ein passendes Versteck suchen, wo die verfluchten Gegenstände für längere Zeit, vielleicht sogar für immer, verbleiben konnten. Bis dahin waren sie bei Johann sicher. Doch die Gefahr würde nicht gebannt sein. Solange die Gegenstände existierten, war sie immer da und schwebte über ihnen.
„Kannst du das dort mitnehmen?“ Masut deutete auf den verhüllten Krug. „Er stört mich hier und ich habe Sorge, daß jemand ihn stehlen könnte.“
„Ach, deshalb wolltest du wissen, ob ich bei dir war. Klar kann ich das mitnehmen. Es ist bloß so schwer.“
Johann wollte wissen, was sich unter dem Wolltuch verbarg. Schon vor einigen Wochen hatte er es erfahren wollen, doch Masut hatte ihn vertröstet. Nun war anscheinend die Zeit gekommen, wo er ihm sagen mußte, welche Gegenstände sich unter dem Tuch befanden.
Johann selbst hatte nur Vermutungen anstellen können. Der Gegenstand hatte eine unebene Oberfläche gehabt, war in der Mitte dickbauchig und hatte einen Sockel. Der Gegenstand ließ sich auf den Boden stellen, so wie er nun stand, aber was war es? Seine Fantasie hatte nicht ausgereicht, um sich irgendwelche Gegenstände auszumalen, die dieser Form gerecht würden.
„Komm her, ich zeige dir, was du mitnehmen sollst. Aber sag nichts, Schau es dir nur an und nicht anfassen.“
Johann machte große Augen. Was nur mochte so geheimnisvoll und gefährlich zugleich sein? Befand sich eine Schlange in dem Gefäß? Ja, denn ein Gefäß mußte es sein, aber was es verbarg, konnte er sich nicht vorstellen. Es mußte gefährlich sein, schließlich durfte er es nicht anfassen. Vielleicht doch eine Schlange – eine Kobra. Noch nie im Leben hatte er eine Kobra gesehen, aber aus Erzählungen seines Vaters wußte er, daß diese Schlangen zu Flötenmusik sich bewegten. War Masut in Wirklichkeit ein Schlangenbeschwörer? Warum hatte er sich nicht dafür gemeldet, sondern arbeitete in der Glasbläserei? Er hielt die Spannung nicht mehr aus.
Vielleicht handelte es sich aber auch um ein vergiftetes Buch. Nein, welch absurder Gedanke, dafür war der Gegenstand zu rund gewesen. Wie eine Vase, genau das mußte es sein. Aber konnte eine Vase eine rauhe, unebene Oberfläche haben? Und dazu hatte es doch auch geklappert. Als er es bewegt hatte, klapperte irgendwas, daran erinnerte er sich genau. Konnte es eine Waffe sein, die Masut eingeschmuggelt hatte? Aufgeregt verfolgte Johann mit den Augen, wie sein ägyptischer Freund das Wolltuch von dem geheimnisvollen Gegenstand zog. Noch bevor er einen Blick auf den Gegenstand werfen konnte, wurde er von Masut herangewunken bis er direkt vor dem Gegenstand zum Stehen kam. Voller Vorfreude malte er sich die fantasievollsten Waffen aus, die er sich vorstellen konnte. Doch wie groß war seine Enttäuschung, als Masut den Blick freigab und eine Vase, womöglich ein Krug, zum Vorschein kam.
Wegen so einem ollen Krug hatte sein Freund so ein Geheimnis gemacht? Wegen einer langweiligen Tonvase, die vielleicht ungewöhnlich verziert war, aber nicht erklärte, warum sie Masut so wichtig war.
Johann sah etwas blinken und der Ägypter holte mit seiner Hand eine Kette aus dem Tuch hervor. Fasziniert bückte sich Johann und streckte die Hand aus, doch dann erinnerte er sich an Masuts Warnung und zog sie schnell wieder zurück.
„Die darfst du nie anfassen und schon gar nicht umhängen. Versprich es, Johann.“ Der blonde Junge verstand zwar nicht, warum er die Kette nicht anfassen durfte, doch um Masut zu beruhigen, nickte er. „Gut, ich kann dir jetzt nicht sagen, was es mit den beiden Dingen auf sich hat. Wenn ich ein passendes Versteck dafür gefunden habe, werde ich es dir sagen. Jetzt ist es gut, wenn du die Geschichte noch nicht kennst.“
Johann betrachtete die Kette, die Masut noch immer in den Händen hielt.
Rote, weiße und blaue Steine wechselten sich ab. Kleine Ringe, die aufgefädelt worden waren und in einem größeren Amulett endeten. Das Amulett schien nur aus Gold zu bestehen, wie auch die Fäden, die durch die farbigen Steinringe beinahe verdeckt waren. Irgendwie kam Johann das Edelmetall seltsam vor. Es glänzte mehr silbern als golden. Silber schien es aber auch nicht zu sein. Gab es ein Metall, daß aus einer Mischung aus Gold und Silber bestand?
Erneut wollte der blonde Junge es berühren, doch bevor er seine Hände ausgestreckt hatte, steckte Masut es in die Hüllen des Tuches zurück und auch die Vase verschwand darin.
„Du wirst ein gutes Versteck dafür finden müssen. Niemand darf das in die Hände anderer gelangen. Hörst du?“
Johann nickte, auch wenn er Masuts Drängen nicht verstand. Er würde es verstecken und dann erfahren, was es mit den beiden Gegenständen auf sich hatte. Doch wo sollte er die Vase und die Kette verstecken? Vielleicht würde sich eine Gelegenheit bieten, wenn er den Tierpark verlassen hatte. Masut hätte gewiß bereits ein passendes Versteck gefunden, wenn er die Gegenstände in seiner Nähe hätte haben wollen. Doch sie sollten irgendwo versteckt werden, wo sie nicht mit dem Ägypter in Zusammenhang gebracht werden konnten. Er – Johann – war zwar noch jung, aber er durchschaute, was sein Freund bezweckte. So glaubte er jedenfalls, daß er Masut verstand. Den Sinn des Ganzen konnte er aber nicht nachvollziehen.
„Darf ich Pascal einweihen, damit er mir hilft? Er kennt sich besser hier aus und weiß gewiß auch, wo sich so was verstecken läßt.“
„Nein!“, sagte der junge Ägypter barsch. Es konnte nicht noch jemand in dieses Geheimnis eingeweiht werden. Johann war schon eine Person zuviel. Er wollte nicht noch ein weiteres Leben gefährden. Selbst seinem Freund hätte er nicht die verfluchten Gegenstände zeigen dürfen. Und doch hatte er es getan, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah.
„Warum denn nicht? Ich kann verstehen, wenn du mir nicht sagen willst, warum du so ein Geheimnis um beide Gegenstände machst. Aber ich muß Pascal doch erklären, was ich da mitnehme. Ich kann doch nicht sagen, daß ich es nicht weiß.“
Der blonde Junge hatte wahrlich Geduld mit seinem ägyptischen Freund gehabt, doch er konnte diese Geheimniskrämerei nicht länger ertragen. Vor Pascal brauchte Masut sich nicht zu fürchten. Noch durchschaute Johann ihn zwar nicht, aber er wußte, daß er dem jungen Tierpfleger vertrauen konnte.
„Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Nimm die Sachen mit, wie ich dich bat.“
„Gut, aber wenn sich herausstellt, daß es Schmuggelware ist, habe ich damit nichts zu tun.“
Masut schüttelte den Kopf. Es hatte es zwar ins Land geschmuggelt, aber es war das Eigentum seiner Familie.
„Das gehört meiner Familie, seit vielen Zeiten.“
Mißtrauisch musterte ihn Johann. Masut entging dieser Blick nicht. Sollte sein Freund denken, was er wollte. Er würde so lange schweigen, wie es ihm möglich war. Niemand durfte unnötig in das Geheimnis eingeweiht und so in Gefahr gebracht werden. Wer auch immer in sein Zimmer eingedrungen war, kannte den Ort des Krugs und der Kette. Vielleicht war es Zufall gewesen und der unbekannte Eindringling hatte nicht bewußt danach gesucht, sondern war einfach neugierig gewesen, was sich unter dem Tuch verbarg. Doch dieser Unbekannte konnte reden und es möglicherweise demjenigen erzählen, vor dem er nach Europa geflohen war. Dieses Risiko durfte er nicht eingehen. Krug und Kette mußten verschwinden. Und wenn Johann zuviele Fragen stellen würde, müßte er sich eben selbst darum kümmern. Aber diese Gegenstände des Bösen mußten verschwinden, unter welchen Umständen auch immer.

6. Kapitel

Hamburg-Eimsbüttel, April 2009
Schnellen Schrittes ging Isis Just durch den dunklen Flur bis sie an einer Tür stehen blieb und anklopfte. Nachdem sie ein ‚Herein‘ vernommen hatte, öffnete sie die Tür und trat in den Raum.
„Sie haben nach mir geschickt, Herr Winter?“
Ein älterer Herr mit Fliege sah von einigen Fotografien hoch.
„Ja, ich wollte Sie sprechen, Isis. Ihr Spezialgebiet ist doch die 18. Dynastie. Außerdem haben Sie die erstaunliche Gabe, künstlerische Darstellungen einen bestimmten Pharao zuzuordnen.“
Isis merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Solch ein Lob hatte sie noch nie zu hören bekommen, vor allem nicht aus dem Mund von Professor Winter. Eben jenem Professor, für den es selbstverständlich schien, daß man fließend das Mittelägyptische, das Hieratische und das Demotische beherrschte. Der nie zufrieden war, selbst wenn man eine sehr gut ausgearbeitete Hausarbeit oder ein gutes Referat abgeliefert hatte. Es gab immer etwas auszusetzen. Und nun dieses Lob. Das mußte etwas zu bedeuten haben. Neugierig wartete Isis ab, warum sie gerufen worden war.
„Kommen Sie mal her und sehen Sie sich das an.“ Er deutete auf die Fotos. „Können Sie mir sagen, wann diese Gegenstände ungefähr gefertigt wurden?“
Isis trat an den Tisch und sah sich die Fotografien  genau an. Die Bilder zeigten eine Kette und eine Vase oder einen Krug. Wohl eher einen Krug, vermutete die junge Ägyptologin.
Sie nahm die Fotografie mit der Kette hoch und betrachtete sie. Eine kleine Fayence-Schicht, auf der sich Zeichen befanden, die Isis nicht erkennen konnte, befand sich unter zwei menschlichen Abbildungen. Beide trugen auf dem Haupt eine Uräusschlange, wobei das Königszeichen bei der linken Figur nur angedeutet war. Vielleicht war es im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, doch das ließ sich nicht genau erkennen. Die rechte Figur übergab der linken eine Rolle. Eingerahmt wurde diese Szene von zwei Lotusblüten. Hieroglyphen, die diese Szenen hätten auflösen können, waren nicht zu erkennen. Die Fotografie war gut, aber solche Feinheiten ließen sich nicht erkennen.
„Eine schöne Arbeit“, stellte Isis fest. Sie legte die Fotografie weg und nahm die übrigen zwei, auf der das Gefäß abgebildet war. Kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, war ihr sofort eine Figur ins Auge gefallen. „Seth!“, sagte sie und wirkte überrascht. Was hatte der Gott, vor dem sich beinahe jeder Ägypter gefürchtet hatte, auf diesem Gefäß zu suchen? Isis konnte den Wortlaut der Hieroglyphen nicht entziffern, da es sich nur um einen Ausschnitt handelte. Auch die andere Fotografie half ihr nicht weiter. Dort waren wieder zwei menschliche Darstellungen abgebildet, die sich von der Darstellung auf der Kette nur darin unterschieden, daß beide keine Uräusschlange trugen. Der Augenmerk lag auf der Rolle. Was hatte diese Rolle zu bedeuten? Was enthielt sie?
„Haben Sie eine Idee, wann die Gegenstände gefertigt worden sind?“, riß Professor Winter Isis aus ihren Gedanken.
Sie legte die Fotografien auf den Tisch zurück, betrachtete sie noch einmal intensiv. Seltsamerweise kamen sie ihr vertraut, bekannt vor. Doch sie konnte nicht sagen, wo sie das Gefäß und die Kette schon einmal gesehen hatte.
„18. Dynastie, damit haben Sie Recht gehabt. Aber ich müßte raten, wenn ich die Gegenstände der Regierungszeit eines Pharaos zuordnen sollte. Vielleicht der Regierungszeits Hatschepsuts. Auf der Kette sind beide Figuren mit einer Uräusschlange dargestellt. Es könnte sich um Hatschepsut und ihren Stiefsohn Thutmosis III. handeln. Aber diese Umrahmung mit den Lotusblüten und der Boden aus Fayence, auf dem die beiden Figuren stehen, widersprechen dem.“
„Und die Vase?“
„Die Abbildung des Seth hat mich irritiert, als sollte man davon abgehalten werden dieses Gefäß, eine Vase oder einen Krug, anzufassen oder ihren Inhalt sich genauer anzusehen. Neben Seth ist etwas geschrieben worden, aber ich kann nicht erkennen, was dort steht. Die beiden Figuren, von denen die eine der anderen eine Rolle übergibt, finden sich auch hier wieder. Aber die Uräusschlange auf beiden Köpfen fehlt. Auch 18. Dynastie, aber dieses Mal kann ich es einem Pharao zuordnen. Der Stil ist eindeutig, auch wenn er nicht ganz herauskommt. Es handelt sich um die Regierungszeit von Pharao Amenophis IV., besser bekannt als Echnaton.“
Professor Winter atmete tief durch, nachdem er Isis‘ Worte vernommen hatte. Das war eine Überraschung, mit der er nicht gerechnet hatte. Auf einer Vase aus der Regierungszeit Echnatons war Seth abgebildet, ein zu dem Zeitpunkt verfemter Gott, der nicht existieren durfte. Nicht Bes war abgebildet, sondern Seth. Es mußte sich tatsächlich um eine Warnung handeln, wenn der Gott Bes dafür nicht ausgereicht hatte. Doch Bes, der ein eingewanderter Gott war, hatte zu viele Funktionen inne gehabt, als das deutlich geworden wäre, was er auf der Vase bedeutet hätte. Doch warum wurde zweimal das gleiche Motiv gewählt, wenn beide Gegenstände nicht zum gleichen Zeitpunkt gefertigt worden waren? Handelte es sich bei den beiden Gegenständen um eine Fälschung?
„Halten Sie die Gegenstände für echt?“, wollte er wissen und hoffte auf eine aussagekräftige, eindeutige Antwort, doch er wurde enttäuscht.
„Das kann ich nicht sagen“, antwortete Isis und sah am Gesichtsausdruck Prof. Winters, das sie eine Antwort gegeben hatte, die er nicht hören wollte. „Ich müßte die Gegenstände vor mir liegen haben, sie anfassen, die Konturen nachfahren. Anhand dieser Fotografien kann ich zu keinem aussagekräftigen Urteil kommen. Ich muß die Gegenstände aus der Nähe aus betrachten. Wo sind denn die Vase und die Kette, damit ich sie mir ansehen kann?“
Ein betretendes Schweigen machte sich breit. Professor Winter nahm die Fotos, ordnete sie und legte den kleinen Stapel auf den Tisch zurück.
„Das ist das Problem: Wir wissen es nicht. Dr. Grehtlahn hatte in einem dieser zwielichtigen Foren, wo Kunsthandwerke gehandelt werden, die Gegenstände gefunden. Wir sind uns aber nicht sicher, ob es sich um Fälschungen handelt. Deshalb hatte ich ein Urteil von Ihnen haben wollen. Aber wenn Sie nicht sagen können, ob die Gegenstände echt sind…“
„Überlegen Sie mitzubieten?“ Isis fürchtete, daß es sich um Diebesgut, also Hehlerware handelte, die jemand aus dem ägyptischen Sand ausgegraben und anschließend aus Ägypten illegal nach Deutschland eingeführt hatte. Sie hörte schon die wütenden Proteste des Leiters der Altertümerverwaltung, der von nichts eine Ahnung hatte, sich aber immer gut in Szene zu setzen wußte.
Wenn sie sich nur an die Identifizierung der Mumie der Hatschepsut erinnerte. Ein Zahn, der in einem Kästchen gefunden worden war, wo Hatschepsuts Name draufstand, hatte es entschieden. Die DNA-Analysen waren noch nicht abgeschlossen, doch es gab kaum noch Zweifel. Nur Isis zweifelte an der Richtigkeit der Untersuchung und des Ergebnisses. Wenn sie so was schon hörte, die Mumie hätte königliche Züge, wurde sie wütend. Tutanchamun sah auch nicht gerade königlich aus oder Thutmosis III., um in der Familie der Thutmosiden zu bleiben, zu denen auch Hatschepsut gehörte. „Sie wissen, was das für Risiken bergen kann?“
„Dieser Schlapphut von Mahmud Hosseni soll erst einmal beweisen, daß es illegal aus Ägypten ausgeführt wurde. Um Nofretete hat er sich auch vergeblich bemüht. Der soll toben bis er platzt oder endlich abgesetzt wird.“
Die harten Worte erstaunten Isis, vor allem aus dem Munde Professor Winters, der sich immer mit der Kritik über den Lieblingsfeind der Ägyptologen zurückgehalten hatte. Sie wußte, wie man hinter vorgehaltener Hand über diesen Wichtigtuer sprach, der sich nur im Erfolg sonnen wollte, der eigentlich anderen gebührte.
„Bevor irgendein Sammler die Gegenstände ersteigert und sie anschließend für Jahrzehnte hinter Tresormauern verschwinden, wollen wir sie haben. Nur wie wir das finanzieren sollen, weiß ich noch nicht.“
Seitdem beschlossen worden war, daß das Departement Ägyptologie geschlossen und abgeschafft werden sollte, wurde es immer schwerer Geld zu bekommen. Daß Isis nach dem Ende ihres Studiums im Sommersemester 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Professor Winter übernommen wurde, war verwunderlich gewesen, wurden die Stellen doch nach und nach abgebaut, da die Studenten des letzten zugelassenen Jahrgangs im Sommersemster 2005 sich dem Ende ihres Studiums näherten. Offiziell hieß es, daß der Studiengang so lange erhalten bliebe, bis der letzte Student mit dem Magister abgeschlossen hatte. Doch jeder wußte, daß in spätestens 2012 Schluß war. Eigentlich wurde schon damit gerechnet, daß es in zwei Jahren so weit sein würde. Die Stellen wie auch die Seminare wurden abgebaut. Selbst Isis hatte gegen Ende ihres Studiums Probleme gehabt, Seminare zu finden, die sie interessierten. Die Auswahl wurde immer magerer, weshalb sie die Studenten bedauerte, die noch an diesem Ort studierten. Sie bot zum ersten Mal ein Seminar an, das bald aus allen Nähten platzte, vielleicht aus dem Grund, weil es das interessanteste Thema des ganzen Semesters war.
„Zur Not werden wir das selbst bezahlen. Es sind schon zu viele Objekte im Ausland gelandet, weil in Deutschland kein Geld vorhanden war.“
Isis ärgerte sich jedes Mal darüber, wenn sie hörte, daß einem deutschen Museum etwas angeboten worden war, doch das nötige Geld gefehlt hatte, weshalb es im Ausland landete. Wenn einem deutschen Institut schon etwas angeboten wurde, und die nötigen Geldmittel nicht vorhanden waren, sollte es entweder einen großen Geldtopf dafür geben, oder die Institute sollten sich zusammensetzen und ihr Geld zusammenlegen, um das Objekt gemeinsam zu finanzieren. Doch wo kein Nutzen gesehen wurde, blieb der Geldhahn zu. Ein gutes Beispiel war das Troja-Projekt, wo die Finanzierung ausgelaufen war. Die Ausgrabungen hätten eingestellt werden müssen, wenn nicht ein privater Sponsor eingesprungen wäre. Die Zahlungen waren nicht verlängert worden, da keine Ergebnisse, kein großer Fund gemacht wurde. Immer mußte den Taten Ergebnisse folgen. Wenn dies nicht geschah, wurden eben die Zahlungen eingestellt.
„Mein Gehalt ist nicht hoch, aber für diese Objekte gebe ich es gerne, damit wir sie näher untersuchen können.“
Professor Winters Mund verzog sich zu einem Lächeln. Damit hatte er gerechnet. Er kannte Isis‘ Meinung zu Forschungsobjekten, die in ausländischen Instituten landeten, weil in Deutschland niemand das Geld dafür hatte.
„An erster Stelle steht der Forscherdrang. Doch nein, Ihr Angebot kann ich nicht annehmen.“
„Gut, ich akzeptiere es, aber mein Angebot bleibt bestehen. Bevor solche Objekte ins Ausland verschwinden, gebe ich lieber mein letztes Geld.“
„Wurmt es Sie also immer noch, daß die meisten Objekte ins Ausland oder an Sammler gehen.“
„Ich finde es skandalös, daß deutsche Archive ihre Schätze verkaufen, weil sie oder die Stadt Geld brauchen. Daß Objekte nicht gekauft werden können, obwohl sie als erste das Angebot bekommen , weil eine Finanzierung nicht zustande kommt und das Objekt im Ausland verschwindet.“ Isis merkte an Profssor Winters Gesichtsausdruck, daß sie sich in Rage redete und versuchte auf ein anderes Thema zu lenken. Jeder wußte, was sie vom Ausverkauf der Archive hielt und den schlechten Finanzierungen der Institute, Universitäten und Museen. Und niemand wollte es mehr hören, obwohl ihr alle insgeheim zustimmten, doch nicht die Sichtweise vertraten wie Isis. „Wie lange gilt das Angebot noch?“
„Ein festes Datum ist nicht angegeben, auch kein Festpreis. Man soll ein Angebot abgeben und wenn es das höchste war, bekommt man den Zuschlag.“
„Also dem Baugewerbe ähnlich?“
„Richtig, nur das bei Ausschreibungen das niedrigste Gebot gewinnt.
Isis machte Anstalten zu gehen.
„Wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Ich muß die nächste Seminarsitzung vorbereiten.“
Sie hatte bereits die Türklinke in der Hand, als Professor Winter noch einmal das Wort ergriff.
„Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Promotion aus? Haben Sie ein Thema gefunden?“
„Ich suche noch, kann mich einfach nicht entscheiden, ob ich etwas über Hatschepsut oder über Echnaton, Semenchkare schreiben möchte. Beide Herrscher oder die drei Herrscher bieten eine Fülle von Themen.“
„Es ist aber auch schon viel geschrieben worden. Bedenken Sie das, Isis. Vielleicht sollten Sie sich mit Professor Theiding von der FU Berlin in Verbindung setzen, der kann Ihnen sicherlich weiterhelfen.“
Theiding, diesen Namen hatte Isis seit sechs Jahren nicht mehr gehört, seitdem sie ihn in Ägypten getroffen hatte. Er hatte seinen Halbbruder begleitet, der eine schwere Krankheit überwunden hatte. Isis hatte diese Reise zu ihrer Volljährigkeit geschenkt bekommen. Eine Reise, die unglaublich gewesen war, doch als sie nach Deutschland zurückkehrte, hatte sie ihr geordnetes Leben in Scherben zerbrochen vorgefunden. Ihr Bruder starb nach einem Autounfall und ihre Eltern ließen sich scheiden. Nichts war mehr so gewesen, wie es einmal gewesen war. Daß sich nun ihr Weg wieder mit Professor Theiding kreuzen sollte, ließ all die Erinnerungen an die Reise, die guten, wie die schlechten, wieder hochkommen. Isis mußte kämpfen, um die Flut an Bildern wieder aus ihrem Kopf zu verdrängen.
„Ist Ihnen nicht gut, Isis?“, fragte Professor Winter besorgt und riß Isis aus ihren Gedanken.
„Nein, alles in Ordnung.“
Isis drückte schnell die Türklinke herunter, öffnete die Tür und verließ das Zimmer, bevor Professor Winter etwas erwidern konnte. Sie wollte jetzt einfach nicht über Professor Theiding sprechen.
Erleichtert lehnte sie sich an die Wand neben dem Zimmer Professor Winters und holte tief Luft. Sie war mit Erinnerungen konfrontiert worden, die sie vergessen geglaubt hatte. Wie damals waren sie noch heute genauso schmerzhaft.
Langsam ging sie den Flur entlang.
Die beiden Objekte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den Krug, die zwei dargestellten Menschen. Die zu übergebende Rolle schien zu leuchten.
Sie konnte es nicht erklären, aber ihr kam diese Abbildung bekannt vor. Irgendwo hatte sie diese Szene schon einmal gesehen. Es war in keinem wissenschaftlichen Fachbuch gewesen, auch auf keiner Vase oder irgendeiner Fotografie. Wenn sie sich nur erinnern könnte.